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Tag, Mo, 14.7. Roßleben – Karsdorf (23,1 km)
Ja, Schweinsteiger hat es uns bestätigt: Auch wir sind Weltmeister! Dass wir als solche mitten in der Nacht aufstehen müssen, um am Tag nach dem Triumph von Rio gegen 8.30 Uhr an der Scharfen Lanke einzutreffen, entwertet diesen schönen Titel erheblich. Überpünktliche 20 Minuten nach der geplanten Abfahrtszeit verlassen zwei Busse, zwei Vierer, ein Dreier und 16 Arkonen den heimischen Herd Richtung Süden. Zwei Navis, zwei Richtungen: Der Wagen mit Bootsanhänger hat den Menüpunkt „Keine Fähre benutzen“, den findige Programmierer in einem Anfall von Menschenverachtung erfunden haben, nicht angekreuzt, was ihm in Halle zum Verhängnis wird. Der andere Bus rast Richtung Leipzig und steht bei Dessau eine dreiviertel Stunde auf der Autobahn, nachdem ein Autofahrer im Baustellenbereich offensichtlich seine Fahrkünste überschätzt hatte. Wir sehen die Rauchwolke schon von weitem und ahnen Böses.
Beide Wagen erreichen also Roßleben mit kurzem Abstand statt um 12 erst gegen 14 Uhr, wir riggern auf und picknicken anschließend, wobei uns die Zeit durch eine halbstündige Stegreifrede über das achzigjährige erfüllte Rudererleben des Vereinsvorsitzenden des RC Roßleben vertrieben wird. Aber auch diese Rede erreicht irgendwann ein natürliches Ende und gegen solide 15.15 Uhr stechen die drei Boote in See. Nebenbei schickt uns der Vorsitzende noch eine Warnung vor der für ihre Heimtücke besonders gegen Ruderboote bekannte Brücke von Memleben hinterher. Und wie das Leben so spielt: Eine Havarie kann zwar nicht verhindert werden, läuft aber insofern glimpflich ab, als dass Menschen nicht zu Schaden kommen. Ein Ausleger hat hingegen eine sehr eigenwillige, an einen Nierentisch erinnernde Form angenommen, die zum Weiterrudern jedoch eher weniger geeignet ist. Glücklicherweise gibt es einen Ersatzausleger, auch wenn dieser streng genommen nicht ganz passt. Wenn das doch schon alles gewesen wäre! Als ob irgendwelche Mächte eine Strafe für das schöne Rudern, den mit weißen Wölkchen betupften Himmel und die doch nicht wie vorhergesagt niedergehenden Gewittergüsse verhängen wollen, erkennen wir in Karsdorf, dass Weiterrudern morgen nicht möglich sein wird, weil Bäume dort den Weg versperren, wo sie nichts zu suchen haben: Im Fluss. Also heißt es abriggern, erst mal im Hotel Trias (Plattenbau, charmantes Ambiente, leider keine Soljanka) essen (Menü für 12 €) und um 23.30 Uhr, nachdem eine Gruppe den Anhänger aus Halle, wohin er erst am Nachmittag gebracht worden war, abgeholt hat, alles im Dunkeln verladen, um morgen früh die Extra-Schleusung zeitlich zu stemmen. Alle packen mit an, außer einer Ruderfreundin, die ihren Schlaf nicht zu unterbrechen gedenkt. Jeder hat schon mal von Dunkelrestaurants gehört. Dunkelbootsverladungen gehören auch in diese bizarre Kategorie des Außergewöhnlichen. Das Kommando „offene Seite Mond“ setzt einen zarten, poetischen Abschluss unter einen zwar nicht perfekten aber durchweg spannenden Rudertag!
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Tag, Di, 15.7. Karsdorf/Tröbsdorf – Naumburg (ca. 24 km)
Vormittägliches Aufriggern hinter der Tröbsdorfer Schleuse, schönes Wetter, drei Schleusen,
keine Zwischenfälle (!), Besichtigung der Sektkellerei Rotkäppchen in Freyburg,
abends: Terrasse des Alten Felsenkellers bei Sonnenuntergang (Essen gut, dauert aber…).
- Tag, Mi, 16.7. Naumburg – Bad Dürrenberg (31,5 km)
Gestern Abend kein Dunkelriggern, auch heute vermissen einige Kameraden die morgendliche Arbeit am Material. Wir können „einfach so“ am Ruderhaus des Rot-Weiß-Naumburg losfahren. Allerdings muss ein Boot noch mal am Alten (renovierten) Felsenkeller anlegen, um Proviant für die Kameraden zu bunkern, die sich vorzeitig vom Frühstückstisch absentiert hatten und die deshalb die entsprechende Ansage des Fahrtenleiters nicht mitbekommen hatten. Die Betroffenen geloben stillschweigend Besserung. Wir lassen Weinberge mit schönen Winzerhäusern, Burgen und verfallende Bahngebäude an uns vorüberziehen und beobachten die schwimmende und fliegende einheimische Tierwelt. Der Schleusendienst begleitet uns die vier Schleusen des Vormittags und lässt es sich nicht nehmen, uns hinter der Schleuse Weißenfels zwei Kannen Kaffee zu kochen. Das Wort von der Servicewüste haben die Genossen wohl noch nicht verinnerlicht. Auch die schönste Mittagspause im schattigen Obstgarten geht zu Ende und wir rudern noch mal 15 km bis Bad Dürrenberg. Einige wenige Regentropfen wollen uns Abkühlung verschaffen, die gnadenlose Sonne lässt sie aber sofort verschwinden. Am Kanuclub leiten wir vorschriftsgemäß 78,2 m vor dem Steg die Wende ein, bleiben aber auf dem Fluss liegen, weil es am Ufer plötzlich keine Strömung mehr gibt. Wir legen trotzdem an und der Protokollant erkennt auch nach vier Jahren den Hauswart, vor allem wegen seines zahmen Dobermanns (der wohl eigentlich eine Doberfrau ist) wieder. Damals haben wir eine zweite Übernachtung im Felsenkeller dem Luftmatratzenlager vorgezogen, diesmal wagen wir es, die Sporthalle des Vereins als Übernachtungsangebot in Anspruch zu nehmen. Wir breiten zwischen den Hanteln, Kraftmaschinen und Sprossenwänden unsere Schlafsäcke aus, nachdem wir durch Quer‑, Stoß- und Schocklüftung versuchen, den süßlich-bitteren Geruch der letzten 14.000 Trainingseinheiten aus den Räumen zu vertreiben, was allerdings nur unbefriedigend gelingt.
Einige sind clever, sie breiten ihr spartanisches Nachtlager auf Holzdielen aus, die schon im 1. Weltkrieg zu alt waren, um verheizt zu werden. Die Trägen, Langsamen und Lethargischen werden in einen Raum mit Teppichboden gezwungen, dessen Aussehen wegen Farbe und Muster eigentlich laut Haager Landkriegsordnung geächtet sein müsste. Die Myriaden von Hausstaubmilben, die sich im Teppich seit Jahrzehnten ungehindert fortpflanzen, werden wir vielleicht erst später in Form von asthmatischen Anfällen zur Kenntnis nehmen. Insgesamt: Schönes, authentisches Ambiente, das allmählich die Errungenschaften der politischen und wirtschaftlichen Wende erfährt: Die Steganlage ist nicht mehr nur unter Lebensgefahr zu benutzen, aber Duschwasser muss schließlich nicht immer warm sein, Hauptsache, das Bier ist nicht zu kalt.
Abends essen wir im Restaurant „Saalestrand“. Entgegen der ersten, naiven Vermutung gibt es weder Saale noch Strand zu sehen, aber ein kleiner Biergarten mit leckeren Pfifferlingsgerichten versöhnt uns. Und weil wir am nächsten Morgen unser Frühstück nicht unter den hygienischen Bedingungen des Kanuclubs einnehmen wollen, verabreden wir im „Saalestrand“ für 8 Uhr einen Termin. Wir sehen uns noch das Gradierwerk (Salzwasserverrieselungsanlage, vielleicht kann man damit gegen Hausstaubmilbenasthma ankämpfen) an und im Anschluss daran sitzen die üblichen Verdächtigen noch ein Stündchen, diesmal wirklich mit Saaleblick, am Ufer des Kanuclubs, und versuchen, gegen ihr Flüssigkeitsdefizit anzukämpfen.
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Tag, Do, 17.7. Bad Dürrenberg – Halle (30,6 km)
Mit steigenden Temperaturen werden auch die Etappen endlich länger. Nach dem Frühstück im Restaurant Saalestrand, ca. 15 km bis Merseburg rudern (drei Schleusen). Rast beim Ruderclub (kein Kuchen, keine Getränke, keine Snacks, aber: Restaurantbetrieb! Jedoch erst nach unserer Abfahrt. Da könnte ja jeder kommen…). Weiterrudern am Nachmittag bis Halle (eine Selbstbedienungsschleuse). Landschaft unspektakulär. Vor dem Abendessen planmäßiger Personalwechsel (einer geht, eine kommt). Hervorragende Küche im Ruderhaus Boellberg, wegen zwei Stunden Wartezeit um einige Michelinsterne abgewertet. Danach kurzes Beisammensein einiger Kameraden in der Ehrenhalle, draußen fressen die Mücken, alles, was noch Blut in den Adern hat…
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Tag, Fr, 18.7. Halle – Könnern (38,8 km)
Wer hat nun recht? Der Smartphone-Wetterbericht sagt 29° – 31°C vorher, am Campingplatz Saaletal zeigt das 50ct-Thermometer im Schatten des Ausschanks 34°C. Fünf Schleusen am Vormittag und eine am Nachmittag werden gemeistert, auch die Wasserschutzpolizei Halle rät uns per Lautsprecher, Wasser und Sonnencreme mitzunehmen. Echte Freunde, leider keine Helfer. Es gibt trotzdem keine Hitzeopfer, alles gut genug trainierte Arkonen, Wasser wird in 1,5‑l-Flaschen verzehrt. Der Schnitt der Etappe ist leider nicht symmetrisch, 28,5 km bis zur Pause am Zeltplatz Saaletal in Koschwitz sind bei der Hitze schon grenzwertig, allerdings erübrigt sich jeglicher Toilettenbesuch, man schwitzt sofort alles aus. Weil die letzte Schleuse um 17.30 Uhr die Tore dicht macht, können wir nur 40 Minuten lang Kaffee, Eis und Kuchen ordern, was beim Wirtsehepaar kleine Stressattacken zur Folge hat, trotzdem gelingt es, rechtzeitig zu starten. Seit Wettin sind die Schleusenkammern so groß wie ein halber Fußballplatz, was die Ein- und Ausfahrt in Formation ermöglichen würde. Die letzten 10 km bis Könnern tun kaum noch weh, allerdings gibt es keine Bootsanlegestelle. Wir bringen die Boote etwas unkonventionell über eine steile Böschung an Land. Da alle mit anpacken gelingt es besser als erwartet.
Im Hotel Goldener Ring haben wir auch mal wieder Einzel- und Doppelzimmer und nach der Menschwerdung durch Duschen nehmen wir unser vorbestelltes Mahl ein. Recht ordentliche bis gute Qualität, gemeckert wird sowieso nicht. Eine kurze Stadterkundung von Unverbesserlichen zeigt ein intaktes DDR-Stadtbild inklusive gut renovierten Häusern, verschandelnden Nachwendebauten und den leider etwas verwahrlosten Platz an der Lenin-/Ecke Friedenstraße. Auch Rathaus und Kirche sind schöne Bauwerke. Insgesamt stimmig, aber ein Ort, in dem man eigentlich nicht seinen Lebensabend verbringen möchte, wenn man dafür sein Anwesen in der Toscana tauschen müsste. Rechtzeitiges „schlaf-gut“-Wünschen gegen 22.30 Uhr.
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Tag, Sa, 19.7. Könnern – Calbe (36,3 km)
Bei 34°C im Schatten, d.h. ca. 44°-50° in der Sonne, die auf dem Wasser mangels schattenspendender Überdachung meist scheint, sollte man sich tagsüber in abgedunkelten Räumen aufhalten, gekühlte Getränke in Reichweite, die Beine sinnvoller Weise hochgelegt und den Kreislauf auf stand by runtergefahren. All dies tun wir nicht, weil der Plan anderes von uns verlangt. Wir rudern und versuchen trotzdem zu genießen, was phasenweise auch gelingt: Die nach einer Flussbiegung auftauchende Silhouette von Bernburg entschädigt für die Fron.
Pause nach 20 km beim Bernburger Ruderclub. Da einige wahnsinnige Einheimische in der Mittagshitze sogar Fußball spielen (in der Sommerpause!), haben zum Glück für uns Imbiss und Toilette geöffnet. Wir rudern nach Calbe, Fahrtenleiter Achim hat die letzte Etappe angesichts der (Wetter-) Umstände kurzfristig geteilt. Viel Landschaft ist vom Boot aus nicht zu sehen, ab und an ein Baum, der die Böschung überragt, wird als Highlight wahrgenommen. Die Busse bringen uns nach Barby und um 19.30 Uhr: Überraschung! Pünktlich, wie es die älteren unter uns noch aus Erzählungen der Urgroßeltern von der ehemaligen Reichsbahn kennen, steht das Essen auf dem Tisch. Wiederum sehr ordentlich, bei gutem Preis-Leistungs-Verhältnis. Beim abendlichen Zusammensitzen auf dem Hof des Nebengebäudes (wir wollen die Hochzeitsfeier, deren Stimmung eher einer Beerdigungsfeier gleicht, nicht stören) kommt endlich Achims Gitarre zum Einsatz. Auch ohne Lagerfeuer wäre in Berlin die Polizei keine zehn Minuten später aufgetaucht, um den Lärm zu unterbinden. Hier im Anhaltinischen haben die Menschen entweder noch ein Gespür für wahre Volkskunst oder sie benutzen ab 21 Uhr grundsätzlich Oropax. Zur Textsicherheit tragen sowohl die Benutzung von Stirnlampen als auch der Verzehr von einer Palette Kümmerling erheblich bei (wenige Restexemplare des Live-Mitschnittes des Konzerts sind beim Fahrtenleiter erhältlich).
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Tag, So, 20.7. Calbe – Barby (21,6 km)
Da die Hochzeitsfeier kurz nach dem Wort zum Sonntag ihrem Ende entgegendrögte konnten die meisten Mitglieder unserer Rudertruppe ausreichenden Nachtschlaf genießen. Wir dürfen am Vormittag noch die Restetappe vom Sonnabend nacharbeiten, was wir bei brasilianischer Schwüle zwischen 9.30 Uhr und 12.30 Uhr tun. Die Elbe empfängt uns mit gemäßigter Strömung, so dass das Anlegen vor der Barbyer Fähre kein großes Problem darstellt. Um 14 Uhr ist abgeriggert, der Bootsanhänger kann zwar auf die Fähre hinauf‑, nicht aber von selbiger hinunterfahren, da die Böschung zu steil ist und er hinten aufsetzen würde. Da das Problem bekannt ist, wird es auf konventionelle Weise mit Muskelkraft gelöst.
Kleinere Verzögerungen im Fährbetrieb kümmern uns nicht; es ist Sonntag, bis zur Lindenstraße ist noch genug Zeit. An der Scharfen Lanke werden die Boote natürlich einer Grundreinigung unterzogen, bevor wir leider kein Abschlussgetränk zu uns nehmen können, da sich die Ökonomie bereits im verdienten Feierabendmodus befindet.
Sei’s drum: Ca. 3000 Ruderkilometer werden dem Arkona-Konto gutgeschrieben, aber hinter dieser schnöden Zahl steht viel Spaß, Gemeinsamkeit und Anstrengung beim Rudern sowie viel Arbeit in der Vorbereitung durch die Fahrtenleitung. Vielen Dank dafür.
Klaus Becker