1. Tag, Mittwoch, 17.9.2014 (Frankfurt/Oder – Kienitz, 53 km)
Warum ist es nicht immer so? Beim Eintreffen der Ruderer mit Bus, PKW und Bahn (kein Streik, pünktlich!) liegen die aufgeriggerten Boote beim Ruderclub Frankfurt/Oder und warten darauf, zu Wasser gelassen zu werden. Fleißige Heinzelmännchen haben am gestrigen Tag ganze Arbeit geleistet und die Boote überführt, ob wohl sie laut Märchen nur im Dunkeln arbeiten können. Deshalb dürfen sie hier auch nicht benannt werden, vielleicht klappt es bei zukünftigen Fahrten ja auch so perfekt. Sinn der Sache ist natürlich, nicht fünf Tage mit dem Anhänger durch die Lande fahren zu müssen, da die Tour ja am heimischen Arkona-Steg enden soll.
Ein kleines Frühstück, das die 50-km-Strecke des ersten Tages einleitet, ist auch bereitet. Vor Beginn bittet Wolfgang Krause die Versammelten um eine Gedenkminute für den verstorbenen Ruderkameraden Wolfgang Kolwa, der mehr als 60 Jahre Mitglied bei Siemens/Arkona war.
Wir starten auf die Sekunde genau, wie wir es von Fahrtenleiter Bernd Stoeckels Organisation gewöhnt sind, in einen herrlichen Spätsommer- oder Frühherbsttag, je nachdem, ob man noch vom Urlaub am Mittelmeer oder schon von der Weihnachtsgans träumt. Wer hier Optimist und wer Pessimist ist, ist Ansichtssache. Die Strömung ist unsere Freundin und wenn wir eine kurze Ruderpause machen und zusätzlich die Blätter in den recht kräftigen Schiebewind halten, sind wir so schnell wie beim Mittwochsmorgenrudern im Zweier. Da wir das Fortkommen außerhalb der Pausen noch mit ein wenig Ruderkraft unterstützen, sind wir schnell an Lebus vorbei, wo eine Terrasse zum zweiten oder dritten Frühstück laden würde, wenn es so im Ablaufplan stünde und es eine Anlegemöglichkeit gäbe. Mittagspause nach 33 km in Kietz vor der Fischerstube in einem alten, an Land gezogenen Fischerkahn.
Freigetränk aus der Fahrtenkasse (ja, einige trinken auch vor vier Bier). Das traditionelle AH-Buffet gibt Kraft für die letzten 17 km. In Kienitz machen wir die Boote fest, nehmen auf dem Deich einen Oder-Tages-Abschiedstrunk zu uns (deutlich mehr Bierbestellungen), um dem Austrocknen entgegenzuwirken (im Gegensatz zur gängigen medizinischen Meinung vergessen wir alten Leute auf dieser Fahrt keineswegs das Trinken) und fahren dann auf zwei verschiedenen Wegen (zwei Navigeräte) nach Oderberg zum Gasthof „Grüne Aue“. Um 19 Uhr wird das Abendessen serviert, zwei „Kameraden“ quälen den Rest der Truppe durch Ordern einer Vorsuppe, was die allgemeine Nahrungsaufnahme deutlich verzögert. Obwohl das meist georderte Wildschweingulasch „aus“ ist (durch Hirsch adäquat ersetzt) sind alle mit Menge, Preis und Qualität des Essens zufrieden. Recht früh, zwischen 21 und 22 Uhr, zieht sich die Mannschaft zum Schönheitsschlaf zurück.
2. Tag, Donnerstag, 18.9. 2014 (Kienitz – Oderberg, 45 km)
Wir halten die 7–8‑9-Regel ein: 7 Uhr Aufstehen, 8 Uhr Frühstück, 9 Uhr Losfahren. Das heißt für uns natürlich erstmal Rückfahrt von Oderberg nach Kienitz. Getreu dem Fahrtenbuch beginnen wir um 10:30 Uhr unsere Tagesetappe, die wieder vom Wettergott begünstigt wird. Haben wir so viel Glück verdient? Aber Hallo! Selbstverständlich! Schönes, schnelles Schiebewind-Strömungs-Rudern in scheinbar unspektakulärer Landschaft, aber man sieht schon mal einen weißen Reiher oder einen weißschwänzigen Adler und nicht immer nur diese langweiligen Bussarde und Milane. Was man nicht sieht, sind Schiffe! Gestern früh zwei Sportboote und heute ein Tonnen-Service-Schiff und ein Kranschuber, der natürlich genau vor uns in die einzige Schleuse des Tages bei Hohensaaten fährt, nachdem wir ihn vorher in Grund und Boden gerudert hatten. Ihre Bedeutung als Wasserstraße scheint die Oder komplett verloren zu haben. Jetzt ist sie wieder, was sie seit 10.000 Jahren seit der letzten Eiszeit war: ein Fluss, zwar eingedeicht und gebändigt, aber noch nicht, wie z.B. die Donau, durch Staustufen und Wasserkraftwerke zum Kanal degradiert und getötet.
Mittags wird Rast in „Zollbrücke“ auf der Wiese vor dem Deich gemacht. Aussteigen ohne Steg. Es ist günstig, das Ziel als zweiter Sieger zu erreichen, weil einem dann von den stolz zuerst angekommenen Ruderfreunden geholfen wird und diese als Siegerpreis die nassen Füße bekommen. Bei Hohensaaten verlassen wir dann die Oder, passieren obengenannte Schleuse und wundern uns, dass wir nur noch halb so schnell sind – die Strömung fehlt, aber immerhin gibt’s noch Schiebewind.
Das Anlegen am Kanu-Club Oderberg gelingt, die kalten Getränke werden in unserer Pension „Grüne Aue“ gereicht. Abends Essen, Soljanka: gut (Zitrone und Toast fehlen), Eis zum Nachtisch. Nur zwei Runden klarer Schnaps (Kappe nach hinten). Überhaupt die Kappenordnung: Eine einzelne unbedacht genaschte Erdnuss kostet 50 Cent…
3. Tag, Freitag, 19.9.2014 (Oderberg – Eberswalde/Schleuse Heegermühle, 26 km)
Die ersten Wolken ziehen bei der Abfahrt vom Kanuverleih auf, aber man soll nicht unzufrieden sein. Die Schotten haben gestern entschieden, mit ihrem Lieblingsfeind, dem Engländer, vereint zu marschieren und getrennt zu schlagen, so halten wir’s mit dem Wetter: nehmen, wie’s kommt.
Heute ist Schleusentag. Vormittags, zum Aufwärmen zwei, wobei wir die Boote um die zweite Schleuse umtragen müssen, das Schleusenerlebnis also nicht zur Gänze auskosten dürfen. Vor der Schleuse Ragöse gibt es den obligatorischen Imbiss. Die Preisfrage des Nachmittags lautet: Schaffen wir es bis 17 Uhr durch sechs Schleusen, da der Schleusenwärter/-meister nicht um 17 Uhr, wie offiziell beschrieben, sondern bereits um 16.45 Uhr in die wilde Freitagnacht startet? Die Ruderstrecken zwischen den Schleusen sind vernachlässigbar, die Schleusenwarte könnten sich zurufen, dass die „Paddler“ kommen. Der Unterschied zwischen Ruder- und Paddelboot ist offenbar für normale Menschen nicht zu erkennen. Belehrungen helfen erfahrungsgemäß nicht. Wir wollen auch nicht den ganzen Tag herumpädagogisieren, schlimm genug, dass gleich zwei Ex-Lehrer an Bord sind. Kurz und gut: Wir sind pünktlich in der letzten Schleuse „Heegermühle“, und da der Feierabend wirklich naht, zieht der Schleusenmeister alle Register seines Könnens und produziert eine Strömung, die Wildwasserpaddler bei Olympischen Spielen vor keine leichte Aufgabe gestellt hätte. Der Landdienst erwartet uns am Kanuclub und transferiert uns nach Lehnitz, wo wir im „Waldhaus“ ein idyllisches Quartier beziehen. Das 19-Uhr-Essen wird bereichert durch die im gleichen Saal anwesende Gruppe von übergewichtigen Biedermännern und einer Handvoll tätowierter Glatzen, deren Beratungsthema wir leider (oder glücklicherweise) nicht ausmachen können. Es bieten sich auch keine Anknüpfungspunkte zu einer netten Plauderei zwischen den beiden unterschiedlichen Gruppen. Das Essen schmeckt trotzdem und ist preislich angemessen. In der Besetzungsliste gibt es den geplanten Wechsel zwischen Harald und Werner Fromm. Vor 22 Uhr ziehen sich die meisten angesichts kommender Aufgaben zurück.
4. Tag, Sonnabend, 20.9.2014 (Eberswalde – Lehnitzsee, 43 km)
Morgens: Frühstücksbuffet im Waldhaus, guter Kaffee, kein Müsli. Transfer nach Eberswalde. Im Kanuclub (Landesleistungs-Stützpunkt) machen die Kids erst einmal einen Dauerlauf. Die Läufer müssen gemeinsam zurückkommen. Schöner Gruppendruck. Nochmals vier Schleusen im Finowkanal. An der letzten Schleuse (Ruhlsdorf), kurz vor dem Mittagessen, endlich die Lösung des Rätsels, das alle Wanderruderer weltweit seit Jahrzehnten umtreibt und den Berichtschreiber regelmäßig zur Verzweiflung treibt: Wie lautet die korrekte Bezeichnung des Menschen, der die Schleusen bedient? An der vorigen Schleuse gab der Mensch in größtmöglicher Bescheidenheit auf Nachfrage den Begriff „Tourismusassistent“ zu Protokoll. Nachdem wir aber in der Ruhlsdorfer Schleuse der „Tourismusassistentin“ ein dreifaches „Hipp-hipp-hurra“ widmen, ernten wir lautes Gelächter und erfahren: „Tourismusassistenten“ sind Aushilfen mit Kurzarbeitsverträgen, z.B. in den Ferien, als Urlaubsvertretung etc. Sie, seit 22 Jahren dabei, ist „Schleusenmeisterin“ (und nicht Schleusenwart oder Schleusenwärter, wie oft gesagt wird, dabei vielleicht an „Bahnwärterhäuschen“ aus dem Faller-Modellbausortiment der Sechzigerjahre denkend). Das musste mal geklärt werden und kein Arkona-Wanderboot wird zukünftig die falsche Bezeichnung benutzen. Nach dem Essen noch ca. 25 km geradeaus den Oder-Havel-Kanal entlang bis zur Lehnitzer Schleuse. Ein Boot läuft, das andere läuft hinterher. Muss am Steuermann liegen. Der Schleusen“meister“ der Lehnitzer Schleuse hält es für unter seiner Würde, zwei Ruderboote zu schleusen. Es gehe „je nach Verkehrsaufkommen“. Da wir aber der alleinige Verkehr auf der Wasserstraße sind, bleibt unklar, was er meint. Boote also mit der Schurre über die Anlage gezogen und 500 m weiter mit der Spitze voran auf’s Waldhaus zugehalten. Der Landdienst hilft, die Mannschaft klettert durch’s Boot an Land. Aufsehen, als wir die Holzboote über Kopf, den Radweg Berlin – Kopenhagen kurz sperrend, auf’s Grundstück tragen.
Ab 19 Uhr, also mitten in der Sonnabend-Sportschau-Zeit: Abendessen und –trinken. Außer ungewöhnlichen Eisessgewohnheiten und Currywurst als Nachtisch von zwei Crewmitgliedern bleibt alles im gutbürgerlichen Rahmen. Sven Plöger sagt für den morgigen Sonntag Dauerregen voraus. Viel Spaß dabei.
5.Tag, Sonntag, 21.9.2014 (Lehnitzsee – Scharfe Lanke, 34 km)
Morgens vor dem Frühstück: Wo ist der See? Ach so, schon vergessen, dass es das gibt, besonders nach dem Sommer der letzten Tage: Nebel, richtig dicke Suppe. Nach dem Frühstück um 9 Uhr lichtet es sich, aber obwohl ab 10 Uhr laut Wetterapp Regen angesagt ist, fahren wir erstmal los. Es geht durch den Lehnitzsee und den Oder-Havel-Kanal bis zum Niederneuendorfer See. Dort hat der Landdienst in der guten Stube des RV Preußen, der demnächst wegen Fusion von der Berliner Ruderlandkarte verschwinden wird, die Imbissreste schön aufbereitet. Zur Weiterfahrt ist es kalt. Kommt der Plöger-Regen jetzt? Die Fahrt über die Havel zur Spandauer Schleuse und dann die Restkilometer zur Scharfen Lanke sind bis 15 Uhr bei trockenem Wetter absolviert. So viel zur 98-%-Zuverlässigkeit der Ein-Tages-Wettervorhersage. Während des Bootesäuberns kommt sogar die Sonntagssonne hervor. Bei Kaffee und Dagmar Stoeckels Kuchen sitzen wir auf der Terrasse noch zur Abschiedsrunde zusammen.
Fahrtenleiter Bernd Stoeckel wird für die gewohnt gewissenhafte und präzise Planung gedankt (früher wurde an dieser Stelle als kleines Dankeschön noch eine Flasche Fruchtsaft überreicht – keine Ahnung, warum das diesmal ausfällt). Das allgemeine Fazit lautet natürlich: „War wieda schön jewesen“.
Klaus Becker