Die Luft ist leicht diesig – das liegt an einer graue Hochnebeldecke, die sich über das herbstliche Moseltal gebreitet hat. Vergeblich wird der Nebel versu- chen, sich an den steilen Berghängen festzuklammern – er wird den Kampf mit den warmen Strahlen der immer höher steigenden Sonne verlieren. Der Nebel weiß das, er wird es aber Tag für Tag immer wieder neu versuchen. Im Lauf des Vormittags wird die Wattedecke immer dünner und durchsichtiger, erste blaue Flecke werden ge- sichtet, bald ist der gesamte Himmel strahlend blau – der Nebel hat für heu- te aufgegeben!
Am Freitag haben wir uns im Laufe des Nachmittags im stillen Weinörtchen Graach – in Mitten von hohen Wein- bergen gelegen – im gemütlichen und uns von vielen Fahrten in der Vergangenheit bereits bestens bekannten Hotel „Zur Taube“ getroffen. Aus Rastatt, Lübeck, Breisach und Berlin sind wir angereist und der erste Abend gehört natürlich hauptsächlich dem .weeste noch“ und .kannste dich erinnern“. Berichte über alte und neue Krankheiten werden auf dringenden Wunsch eines einzelnen Herrn aus den Gesprächen verbannt. Dafür halten wir uns an reichlich .Graacher Himmelreich“ und an die üppige Speisekarte, in der wir – weil die Küche sonst nicht nachkommt – zwischen Schwenkbraten mit Pommes und Pommes mit Schwenkbraten wählen können. Beides allerdings in einer hervorragenden Qualität!
Wir wollen wieder einmal die Mosel, den nach meiner Meinung schönsten Fluss Deutschlands, genießen. Und darum hat unser moselerfahrener Peter Möller mit seinen Kameraden drei Boote vom RC Rastatt nach Trier ge- zogen, wo wir sie am Steg der Rudergesellschaft Trier zu Wasser gebracht haben. Als wir starten ist es zwar noch etwas trübe, aber die liebe Sonne – siehe oben – kommt ja bestimmt.
Ganze 22 km haben wir am ersten Tag zu bewältigen, wir können uns also Zeit lassen, denn eine Schleuse steht heute auch nicht auf dem Programm. Die kleinen Weinorte Longuich und Mehring gleiten vorbei, der schöne Flussbogen der Mehringer Schweiz liegt bereits in herrlichem Herbstsonnenschein. Mittagspause machen wir an einem aufgelassenen Fähranleger, den der Landdienst allerdings erst von zwei angriffslustigen Schwänen erobern musste, die hier sicher ältere Rechte geltend gemacht haben. Am Campingplatz in Pölich ist unsere heutige Rudertour dann zu ende. Eine schöne Anlegemöglichkeit und eine ebenso schöne Wiese zum Ablegen der Boote – doch die Eigentumsrechte der gar nicht anwesenden Parzellenbesitzer, die unbedingt zu beachten sind, machen uns das Leben schwer. Endlich – nach oftmaligem hin und her rücken der Boote – ist der wohl selbst ernannte Campingsheriff mit uns zufrieden und hat nun sicher auch eine ruhige Nacht.
Am nächsten Morgen erwartet uns gleich nach dem Start die erste Staustufe in Dezem. Leider dürfen wir nicht in die große Schleusenkammer für die Berufsschifffahrt einfahren, denn da will man uns nicht haben. Für Sportboote hat man nämlich an der gesamten Mosel separate Sportbootschleusen gebaut, die den kompletten Schleusenvorgang automatisch ablaufen lassen, wenn er einmal mit der Betätigung eines grünen Hebels eingeleitet worden ist. Aber Hände weg vom roten Hebel, der ist nur für einen Notfall vorgesehen. Da immer nur zwei von unseren Booten in die kleine Schleusenkammer einfahren können, bedeutet jede Staustufe einen Aufenthalt von mehr als einer Stunde. Weitere sieben davon haben wir jetzt noch vor uns.
Aber der herrliche Ausblick auf die schönen rebenbewachsenen Berghän- ge verkürzt uns die Wartezeit. In den unterschiedlichsten Grüntönen zeigen sich die einzelnen Weinlagen und war- ten auf die Lese, die allerdings in diesem Jahr noch etwas auf sich warten läßt, da der fehlende Sonnenschein aus dem Frühjahr noch nicht aufgeholt worden ist.
An Klüsserath geht es vorbei, wir um- runden Trittenheim und bewundern vor Piesport aus der Ferne den Nachbau einer römischen Kelteranlage, die man hier auf den 2.000 Jahre alten Grundmauern aus der Römerzeit rekonstruiert hat. In Minheim, einem stillen Weinort am sanft aufsteigenden Hang innerhalb einer der vielen Moselschleifen gelegen, werden wir an Land gewinkt. Die Boote werden auf einer grünen Wiese abgelegt, die beiden Busse bringen uns dann weiter ins Quartier nach Graach.
Die Attraktion des heutigen Tages ist natürlich das mittelalterliche Weinstädtchen Bernkastel-Kues, das täglich von tausenden Touristen heimgesucht wird. Wir lassen uns darum von der kaum strömenden Mosel heute nur in aller Ruhe an der bunten Uferpromenade vorbei treiben. Hoch über der Stadt thront die Ruine der Burg Landshut. Nur wenige Kilometer hinter Bernkastel können wir dann unseren Heimatort Graach auch mal von der Wasserseite aus bewundern. Hoch über dem stillen Weinörtchen lädt der große Schriftzug „Graacher Himmelreich“ zum Verkosten ein. Also wir werden uns heute Abend sicher nicht lange bitten lassen.
In Zeltingen beim dortigen Ruderverein ist dann für heute wieder Schluss, allerdings erst nachdem wir – vom Vorstand eingeladen – uns an einigen Flaschen „Reqattawein“ gütlich getan haben.
Zu jeder anständigen längeren Wan- derfahrt gehört natürlich auch immer ein Tag, der sich „Kulturtag“ nennt. Das ist dann der Tag, an dem man ein ganz klein wenig von der Kultur nachholen kann, an der man vorher tage- lang rudernderweise immer nur vorbei gefahren ist. Und solch ein Tag ist heute! Die geplante Bergwanderung über die „Graacher Schanzen“ fällt aus, da man dort z.Zt. nur auf Baustellen für eine neue Moselhochbrücke blicken soll. Wir bleiben deshalb auf Moselniveau und machen uns zu Fuß auf den Weg nach Zeltingen. Was beim Start in Graach noch als gemütliche Wanderung beginnt, endet – je mehr wir uns Zeltingen nähern – in einem atemberaubenden Sturmschritt. Natürlich erreichen wir abgekämpft aber preußisch pünktlich den Steg der Moselschifffahrt, doch das fahrplanmäßige Fahrgastschiff lässt noch eine halbe Stunde auf sich warten. Auf dem warmen Sonnendeck genießen wir jetzt die Fahrt flussaufwärts vorbei an Graach nach Bernkastel-Kues, wo auch wir uns dann in kleinen Grüppchen in den Strom der vielen Touristen einreihen. Dieses kleine Städtchen hat aber auch wirklich viel an sehenswerten Fachwerkhäusern zu bieten. Da wäre zuerst einmal der mittelalterliche Marktplatz mit seinen herrlichen Giebelfachwerkhäusern aus dem 17. Jh. und dem Renaissance-Rathaus von 1608 zu nennen. Der schöne St. Michaelsbrunnen aus dem Jahre 1606 ist immer dicht umlagert und zusammen mit dem schmalen Spitzenhäuschen – erbaut 1416 – ein sehr beliebtes Fotomotiv, das man allerdings nur sehr selten nicht durch fremde Figuren verstellt vor die Linse bekommt. Hier sowie in den engen Nebenstraßen und malerischen Winkeln der Altstadt mit ebenfalls herrlichen Fachwerkhäusern herrscht ein dichter Touristenverkehr. Ein Platz in einer der vielen Weinstuben oder in den sonnigen Vorgärten der Kaffeehäuser ist kaum zu ergattern.
Hoch über diesem ganzen Trubel liegt dann die Ruine der Burg Landshut, die nicht erstürmt, sondern 1692 durch ein Feuer zerstört wurde. Hier oben – der Aufstieg ist allerdings etwas mühsam – kann man ebenfalls seinen Kaffee trinken und hat dazu noch einen herrlichen Blick über Bernkastel und das liebliche Moseltal.
Am Abend treffen wir uns dann in Graach zu einer ausgedehnten Weinprobe im Weingut Blesius.
Heute früh muß alles Gepäck in den beiden Bussen verstaut werden, denn wir wechseln jetzt das Quartier und sind für den Rest der Wanderfahrt in Treis-Karden im Hotel „Moselblick“ zu Hause.
Kurz nach dem Start in Zeltingen kommt der historische Weinort Ürzig am linken Moselufer in Sicht. Am stei- len Hang weist ein großer Schriftzug auf die bekannte Weinlage „Ürziqer Würzgarten“ hin – meinem absoluten Spitzenreiter unter den Moselweinen. Aber wir legen nicht an – wir rudern vorbei – bis hoffentlich zum nächsten Mal! Hier gibt es nun immer mehr Steillagen mit zum Teil abenteuerlichem Gefälle. Die arbeitsaufwändigsten und kleinsten Flächen in den Felsen sind zum Teil bereits aufgegeben worden, andere in gleicher Lage sind allerdings wieder frisch bepflanzt. Natürlich zählt in diesem steilen Gefälle nur mühsame Handarbeit.
An Kröv mit der bekannten Weinlage „Kröver Naktarsch“ müssen wir ebenfalls vorbeirudern, genau wie an Traben-Trabach mit seinem schönen Brückentor und der urigen Brückenschenke. Am Steg des Rudervereins in Traben-Trarbach legen wir dann aber doch eine kurze Pause ein, um unserem Hinterteil etwas Erholung zu gönnen. Das schwächste Glied bei unserer Fortbewegungsart scheint mir nämlich diese Verbindung „Po-Kissen-Rollsitz“ zu sein, denn mit fortschreitender Wanderfahrt kommen immer öfter Klagen über diese Gegend.
Wir passieren Pünderich endlich mal im Sonnenschein, denn in den vergangenen Jahren hat es hier eigentlich immer geregnet. Die Mosel macht es sich ja wirklich nicht einfach auf ihrem Weg zum Vater Rhein, denn sie windet sich ja in unendlich vielen sich aneinander reihenden mehr oder weniger engen Bogen und Schleifen zu Tal. Der größte und interessanteste Schlenker beginnt bei Pünderich und endet nach 12 Kilometern hinter Zell bei Bullay. An der engsten Stelle zwischen Pünderich und Bullay liegt hoch oben auf dem Bergrücken die Marienburg. Wenn man sich ein wenig Mühe gibt, könnte man von hier aus auf beiden Seiten in die Mosel spucken. Wir versuchen das aber gar nicht erst, denn unsere Fahrt endet für heute bereits im Weinort Zell, bekannt durch die Weinlage „Zeller Schwarze Katz“. Hier wird erzählt, daß sich im Jahr 1863 Weinhändler in Zell nicht zwischen drei Fässern entscheiden konnten, bis eine schwarze Katze in den Weinkeller kam, auf eines der Fässer sprang und dieses fauchend und Krallen zeigend verteidigte. Für dieses Fass entschieden sich die Weinhändler. Der Verkauf dieses Weines war ein solcher Erfolg, dass die Lage danach ihren Namen „Schwarze Katz“ erhielt.
Heute sind eine Schleuse und 27 Kilometer bis nach Poltersdorf zu bewältigen. Wenn eben noch von steilen Weinlagen die Rede war – die wirklich steilste kommt aber erst jetzt. Zwischen Bremm und Ediger-Eller liegt der Calmont. 378 Meter hoch und mit einem Steilhang bis zu 65° steht er für das steilste Weinanbaugebiet Europas. Hier wird in mühsamer Handarbeit der hervorragende Bremmer Calmont gelesen. Von einem benachbarten Hang aus starten Gleitschirmflieger, die aber an diesem steilen Hang nicht zum Ernten der Trauben eingesetzt werden! Gegenüber diesem imposanten Steilhang liegt an einer der engsten und wohl auch schönsten Moselschleifen die beeindruckende Ruine des alten Nonnenklosters Stuben.
Von Poltersdorf bis nach Hatzenport sind es 34 Kilometer und zwei Schleusen, ein ganz schönes Stück Arbeit. Auf dieser natürlich auch sonst sehr schönen Strecke kommen wir an zwei Orten vorbei, die besonders erwähnt werden sollen. Das kleine Winzerdorf Beilstein ist für mich wohl das romantischste aller Moselstädtchen und der Inbegriff der Moselromantik schlechthin. Mittelpunkt des Örtchens ist der teilweise in den Felsen gehauene Marktplatz. Der ganze Ort besteht aus sehr schönen alten Gebäuden, die durch enge Gassen und Stiegen miteinander verbunden sind. Natürlich steht Beilstein in seiner Gesamtheit unter Denkmalschutz. Über dem Ort auf ho- hem Felsen die Ruine der einst mächtigen Burg Metternich. Heute rudern wir leider nur vorbei.
Auf dem Fluss vor Cochem lassen wir für eine Weile die 1868 von einem Berliner Kaufmann hoch über der Stadt wieder aufgebaute alte Reichsburg auf uns wirken. Dann geht es weiter bis zum Ruderverein in Treis, wo wir unsere Mittagsrast einlegen und die restlichen 12 Kilometer bis Hatzenport werden dann auch noch geschafft.
Heute ist unser letzter Rudertag auf der schönen Mosel und wie es sich gehört, verabschiedet sie sich von uns mit einer kleinen Besonderheit: der Fluss liegt bereits am frühen Morgen im strahlenden Sonnenschein, es gibt keinen wie sonst üblichen grauen Hochnebel, nur ganz vereinzelt treiben durchsichtige verlorene Wolkenfetzen über dem Wasser. Kurz vor der Staustufe Lehmen – es ist übrigens die achte und letzte die wir auf unserer Fahrt bewältigen müssen – passieren wir die hoch über dem Ort Alken liegende einzige Doppelburg an der Mosel. Von dieser Burg Thurant mit ihren zwei Wehrtürmen wird hier eine höchst unwahrscheinliche Geschichte erzählt: da sollen doch im 13. Jh. im Laufe einer zweijährigen Belagerung der Burg von der etwa 1.500 Mann starken Belagerungsarmee ganze 3.000 Fuder Wein vertilgt worden sein. Das wären dann pro Jahr und Mensch rund ein Fuder Wein oder so etwa drei Liter dieses berauschenden Getränks täglich. Bei diesem pro Kopf Verbrauch können die den Krieg doch gar nicht mehr so richtig ernst genommen haben.
Wir rudern jetzt zwischen immer flacher werdenden Berghängen dahin, die auch nicht mehr so intensiv mit Weinreben bebaut sind. Die Mosel wird nun vor ihrem letzten Stau immer breiter und auch belebter – wir nähern uns Koblenz – und bald wird dann auch der Steg des „Ruder-Clubs Rhenania Koblenz“ gesichtet, an dem nun unsere schöne und vom Wetter so herrlich begünstigte Moselwanderfahrt leider wieder mal zu Ende geht.
Was nun folgt ist die übliche Routine – Boote abriggern, säubern und verladen, dann geht es zu einer letzten Nacht noch einmal zurück ins Quartier. Am Abend wird Peter herzlich für seine Mühen gedankt und die Hoffnung aus- gesprochen, dass er auch weiterhin seine schönen und beliebten Wanderfahrten ausschreiben wird.
Am nächsten Morgen dann ein herzliches Umarmen und Verabschieden mit dem Versprechen, uns irgendwann ganz bestimmt mal wiederzusehen. Vielleicht wieder auf der schönen Mosel?
Horst Störk