Gerade mal eine halbe Stunde sind wir jetzt mit der lila farbenen Barke „Hans Hermann Meyer“ auf dem Malchiner See unterwegs, da belohnen wir uns schon für die bisher geleistete Arbeit mit einem noch kühlen Glas Sekt.
Doch was haben wir denn bisher eigentlich geleistet? In Berlin hat Siegfried beim R.C. Tegelort den Hänger mit Barke auf den Haken genommen, aber nicht ohne vorher die diversen Hohlräume mit unzähligen Leckereien in flüssiger und fester Form füllen zu lassen. Durch eine herrlich sommerliche Landschaft und viele schattige Alleen sind wir dann nordwärts bis nach Dahmen am Malchiner See gerollt, haben die Barke am dortigen Campingplatz zu Wasser gelassen und auch den etwas aufdringlichen Humor des Wirtshausbesitzers schadlos überstanden. Womit wir uns diese erste Erholungspause sicher redlich verdient haben.
Die Peene, die den Malchiner See nur mühsam füllt, ist mit ihren 136 km Länge nicht gerade einer der großen Flüsse Deutschlands und da ihre Quelle – oder zumindest die anscheinend wichtigste – nur 28 m über NN entspringt, hat sie natürlich so gut wie überhaupt keine Strömung. Wenn man es genau nimmt, ist sie auf ihren 136 km bis zur Mündung ins Haff eigentlich nur ein stehendes Gewässer. Aber das sind wir ja von unserer Havel schon gewöhnt.
Soviel über die Peene – wir wollen jetzt nämlich weiter, denn der so mühsam gefüllte Malchiner See ist immerhin neun Kilometer lang und hat seinen Abfluss in den Dahmer Kanal am Nordende des Sees äußerst geschickt in einem schier endlos scheinenden grünen Schilfgürtel versteckt. Früher einmal war die Westpeene für diesen Abfluss zuständig, aber die ist jetzt total verkrautet und der Dahmer Kanal hat diese Aufgabe übernommen. Aber auch der ist schon so stark zu gewachsen, dass wir oft nur durch Pad dein oder Staken vorwärts kommen können, und auf acht Kilometern Länge kann das schon recht mühsam und zeitaufwändig sein. Und dann erwartet uns so etwa 500 m vor dem Ziel noch eine Überraschung in Form einer langen orange farbenen Wurst, die als eine Art Ölsperre quer über den schmalen Kanal gelegt worden ist und uns somit die Weiterfahrt verwehrt. Dieses Sperrwerk wird von einem beleibten Menschen im Arbeitsanzug nebst zwei Gehilfen vom Ufer her lautstark verteidigt. – Was nun? – Wir wollen und können die so mühsam zurück gelegten acht Kilometer nicht zurück, denn auf der gesamten Strecke gibt es keine Möglichkeit zum Anlegen. Sie wollen und dürfen uns aber für die letzten 500 m nicht durch lassen – schließlich liegt ja ein dienstlicher Auftrag vor. Darum greifen wir – natürlich gegen ihren lauten Protest – zur Selbsthilfe, entfernen für kurze Zeit die Sperre, schlüpfen durch, und stellen dann brav den gesperrten Zustand wieder her. Man will ja nicht mehr Ärger machen als nötig. Die drei tapferen Verteidiger sind inzwischen zwecks Beschwerdeführung bei ihrer nächsten Dienststelle vom Tatort verschwunden und werden nicht mehr gesehen.
Für uns ist die Fahrt dann nach den besagten 500 m auf dem Gelände des Malchiner Kanu-Clubs beendet. Unsere Barke wird in einem Nebenkanal für die Nacht sicher vertäut und wir reisen per Taxi ins Städtchen Demmin, wo wir uns im schönen Hotel .Dernrniner Mühle“ für vier Übernachtungen einquartiert haben. Am Fuße der alten Mühle – bereits seit 80 Jahren ohne Flügel – gibt es sogar einen schattigen Biergarten, in dem wir uns nach getaner Arbeit dann immer zum gemeinsamen Abendessen treffen.
Am nächsten Morgen lacht die Sonne wieder von einem durchgehend blauen Himmel, zwei Großraumtaxis bringen uns zurück zur Barke und wir brechen auf zur nächsten Tagesetappe. Und das sind zunächst erst einmal weitere fünf Kilometer zwischen hohen im Wind rauschenden Schilfwänden auf dem Peenekanal, der dann in den Kummerower See mündet. Heute weht ein ständiger, manchmal auch ziemlich heftiger Wind, der die Fahrt über den See etwas ungemütlich macht. Mit einem kleinen Umweg erreichen wir dann den auch hier nicht markierten Abfluss des Sees und legen gegenüber der Aalbude zur Mittagspause an. Unser Küchenpersonal hat mal wieder gezaubert und wir schwelgen in den rustikalen Genüssen aus der Bordküche.
Ab hier sieht die Peene dann auch, was die Breite betrifft, wie ein richtiger Fluss aus, der jetzt in vielen Kurven und Windungen, allerdings ohne jede Strömung, durch das flache Land mäandert. Dafür weht aber ein stetiger Wind, den wir auf günstigen Strecken natürlich schamlos ausnutzen und uns mit aufgedrehten Blättern vor dem Wind treiben lassen – manchmal kommen sogar zusätzlich noch Hilfssegel zum Einsatz. Doch diese bequeme Art des Reisens fordert dann auch bald ihren Tribut: ein Riemenblatt wird verwundet und kann die gestellten Anforderungen nicht mehr voll erfüllen.
Unser Ziel für heute ist der Segelclub in Demmin, in einem seitlichen Peenearm gelegen und mit einer etwas schwierigen Einfahrt. Die Reparatur des Riemenblatts wird auf den Abend verschoben aber weil wir nun gerade mal dabei sind, sollen auch gleich die anderen kleinen Unebenheiten beim Rudern beseitigt werden. Es hebt ein munteres Austauschen von Riemen an: Backbord kommt nach Steuerbord und Steuerbord nach Backbord, vorne soll nach hinten und hinten soll nach vorne. Schlussendlich verbleiben drei Backbordriemen auf Steuerbord und entsprechend viele Steuerbordriemen auf der Gegenseite. Und damit man dieses gewollte Chaos jeden Morgen ohne größere Diskussionen sofort wieder herstellen kann, werden alle Riemen natürlich auch entsprechend markiert.
Ein kurzer Taxitransport bringt uns zwölf Ruderer und den desolaten Riemen ins Hotel, wo er dann fachmännisch repariert auf seinen weiteren Einsatz wartet und die Reparateure sich im schattigen Biergarten des Hotels noch ein Bierchen genehmigen.
Heute haben wir mit 41 ‚5 km die längste Strecke zu bewältigen, vor der uns ehrlich gesagt etwas bange ist. Das Frühstück gibt es deshalb auch schon eine halbe Stunde früher und wie wir dankbar feststellen, hat sich sogar die Natur auf unsere Seite geschlagen, der Himmel ist bedeckt, es ist kühler als an der Vortagen und auch der Wind weht recht kräftig in die richtige Richtung. Im Laufe des Vormittags kämpft sich dann aber die Sonne doch ab und an durch die Wolken, es bleibt aber immer bei einer rudererfreundlichen Temperatur. In Loitz begrüßen uns Kirchenglocken und die neue Klappbrücke kommt in Sicht – für unser flach gehendes Schiffchen braucht sie aber nicht hochgeklappt zu werden. Auf den vermoderten Balken einer alten Uferbefestigung steht eine Reihe von Kormoranen, die sich nach sicher erfolgreicher Jagt auf den Fisch zum Frühstück ihre nassen Flügel im Wind trocknen lassen. An Backbord öffnen sich immer wieder weite Einblicke auf große Teiche. Hier wurde früher Torf abgebaut, heute sind diese Gebiete geflutet und weitgehend mit herrlichen Seerosen und Mummeln bedeckt. Darüber drehen große Vögel ihre Kreise – manch einer glaubt sogar in ihnen Seeadler zu erkennen, die ihr Revier gegen freche Konkurrenten verteidigen müssen. Wir rudern derweil fleißig!
Aus der Bordküche weht ein dezenter Käsegeruch herüber, die Mittagszeit naht und auf dem Vorschiff müssen Vorbereitungen getroffen werden. Und bei dieser Gelegenheit sollte nun aber wirklich mal etwas über unser fleißiges Küchenpersonal gesagt werden. Die drei Mädels zaubern nämlich Tag für Tag aus den umfangreichen und schier unerschöpflichen Beständen in den Katakomben der Barke für den rudernden Teil der Mannschaft (und natürlich auch für sich selbst) kalte Platten, wie sie unter diesen Umständen kaum besser sein könnten – das Wörtchen „kalte“ sollte man aber hier besonders in der Mittagszeit vielleicht nicht so wörtlich nehmen. Da gibt es Butterund Schmalzbrote, diverse mundgerecht zugeschnittene Wurstscheiben sowie duftende Käsewürfel, Knäckebrot mit schmackhaftem Dip, gesalzene Gurkenscheiben, TomatenvierteIchen, Oliven und Apfelstücke, ferner als eingelegte Champignons getarnte Knoblauchzehen, diverse Nüsse und hinterher rote Grütze mit Vanillesoße und dann noch Kuchen, Kuchen und nochmal Kuchen. Als Getränk wird reichlich ein beinahe kühles Bier (natürlich das mit dem beliebten Schnappverschluss), sowie Weiß- und Rotwein gereicht, aber auch Kaffee, Saft und Wasser werden nicht verschmäht.
Dies alles muss natürlich sehr gründlich vorbereitet werden, aber trotz der vielen hiermit verbundenen Arbeit finden sie in ihrer kargen Freizeit immer noch die Möglichkeit zu einem äußerst fröhlichen und oft sogar recht lehrreichen Gedankenaustausch. So hätte ich, der ich beinahe immer direkt an der .Küchentür“ saß, nach einem äußerst interessanten längeren Disput über das Bepflanzen von Vorgärten im Allgemeinen und im Besonderen, mit Sicherheit eine nicht allzu schwere Prüfung zu diesem Thema glänzend bestanden. Inzwischen sehnen wir den Kilometer 74,5 herbei, denn dort soll uns ein Stichkanal auf Backbord zum Kanu-Verein Gützkow führen, doch niemand hat uns gesagt, dass die Zufahrt zu diesem Kanu-Verein wirklich auch nur auf Kanus zugeschnitten ist. In einem zwanzigminütigen Kraftakt zwängen wir unsere Barke unter Hinterlassung einer breiten Schneise geknickten Schilfrohrs mit anstrengendem Paddeln und Staken durch einen mehr als schmalen Schilfkanal und können dann endlich etwas erschöpft aber stolz auf unsere Leistung neben dem Steg unsere Barke parken.
Das Abendessen soll dann gleich um die Ecke im kleinen Restaurant von Frau Müller eingenommen werden. Als besondere Spezialität empfiehlt sich hier die Currywurst mit Brot nach Art des Hauses: die Wurst bereits in dünne Scheibchen geschnitten und in der Fritteuse „gebraten“, einige Tropfen Ketchup haben sich diskret unter zwei Wurstscheiben versteckt, aber ein grünes Blättchen auf dem Tellerrand verleiht diesem Gericht dann doch noch ein gewisses Flair und man kann es für ganze 1,08 €. erwerben. Das nenne ich dann eine knappe Kalkulation. Das bestellte Taxi bringt uns wieder zurück ins Hotel nach Demmin.
Am nächsten Morgen liegt feuchter Nebel über dem Peenetal, der sich aber bis nach dem reichlichen Frühstück wieder gänzlich aufgelöst hat und Platz für einen herrlich blauen Himmel mit sehr schönen weißen Wolkengebilden macht. Wir zwängen unsere Barke durch den schmalen Schilfkanal wieder zurück auf das freie Wasser der Peene. 35 km bis nach Kamp am Kleinen Haff wären heute zu bewältigen. Die Sonne brennt unbarmherzig immer heißer vom Himmel und in uns wächst langsam aber unaufhaltsam der Wunsch nach vorzeitigem Abbruch der heutigen Etappe. Fahrtenleiter Toni trägt sich wohl auch mit ähnlichen Gedanken, denn bei Flusskilometer 92 hat er ein Einsehen, lässt uns wenden, zurück rudern und auf dem Wasserwanderrastplatz bei Anklam an Land gehen. Unter etwas widrigen Windbedingungen – wir dürfen ja schließlich keine der hier liegenden noblen Motorjachten beschädigen – parken wir unser Schiff hier an einem freien Steg. Per Taxi geht es dann wieder zurück ins schöne Hotel .Dernminer Mühle“, wo wir uns im schattigen Biergarten als Dank für diese sehr kluge Entscheidung ein kühles Eis spendieren.
Eigentlich sollten ja auch am letzten Tag unserer bisher so schönen Fahrt so ca. 14 km von Kamp am Kleinen Haff zurück nach Anklam gerudert werden. Aber erstens sind wir ja gestern gar nicht bis nach Kamp gekommen, und zweitens ergibt eine nachträglich angestellte Berechnung, dass wir – wenn wir heute noch rudern würden – erst ziemlich spät nach Berlin zurück kämen. Also wird beschlossen, auch heute kein Rudern, dafür aber rechtzeitiges Verladen der Barke und Abfahrt nach Berlin. Dort Barke blitzblank säubern und abstellen, Küchenreste vertilgen oder verteilen und noch ein Abschiedsbier trinken, wobei natürlich nicht vergessen wird Toni und Doris Kirchner für die schöne Fahrt und die tolle Organisation sehr herzlich zu danken.
Horst Störk