Leipe im Spreewald – für Autofahrer ist hier die Welt zu Ende, denn wer jetzt noch weiter will. muß sich nun entschei- den, ob zu Fuß über Land oder per Boot auf dem Wasser. Für uns zählt natürlich nur die zweite Möglichkeit. denn unsere Boote – vier Doppelzweier mit Steuermannliegen Ja bereits am langen Steg des „Spreewaldhof“ und warten auf die neuen Mannschaften. Mein Boot heißt „Vikinq“. Ein schönes, altes, geklinkertes Holzboot. So etwa in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts auf Kiel gelegt. Spreewalderfahren, immer wieder liebevoll geflickt und mit mehreren honigfarbenen Lackschichten versehen. Die unterschiedlichen Honigtönungen resultieren sicher aus der Tatsache, daß nicht alle Bienenvölker die gleichen Blüten anfliegen. Kurz gesagt: ein alter Bekannter also, mit dem ich bereits kurz nach der Wende im Spreewald gerudert habe. Über die Sitzordnung im Boot haben wir uns bereits damals in klaren und knappen Worten wie folgt geeinigt: am Boot steht bereits mein Obmann Detlef und ich komme mit meinem Gepäck dazu. „Wo soll ich denn sitzen, Detlef?“ – .Ist mir egal. kannst du dir aussuchen.“ – „Gut. dann setze ich mich auf eins in die Spitze.“ – .Nee – geht nicht. da habe ich mich schon eingerich- tet.“ – „Na schön, dann sitze ich eben auf zwei.“ – „Geht auch nicht. da sitzt bereits Hans.“ – „Na dann bleibt mir Ja nur noch der Steuerplatz!“ – .Ist mir egal – ich hab‘ dir doch gesagt. du kannst es dir aussu- chenl‘ “. Es geht eben nichts über eine klare Aussage!
Auf der sonnigen Terrasse des „Spreewaldhof“ droht man uns mit mindestens einer dreiviertel Stunde Wartezeit für ein kleines Mittagessen, alternativ bietet man uns zur Überbrückung der Wartezeit und zur Beruhigung des knurrenden Magens ein zwar frisches aber trockenes Brötchen an.
Wir entscheiden uns mehrheitlich für die Alternativlösung, lassen das Mittagessen also ausfallen und vertrösten den Magen auf das sicherlich recht rustikale Abendes- sen in der Jugendherberge von Lübben.
Heute sitze ich also wieder im gleichen Boot wie damals. Wir legen zusammen mit den drei anderen Booten nacheinan- der vom Steg des „Spreewaldhof“ ab und sind bereits nach wenigen Metern auf der Hauptspree. die sich dann auch sofort rau- schend und gurgelnd so etwa 30 cm über ein Wehr in die Tiefe stürzt. Für uns Was- serwanderer hat man zur Überbrückung solcher Niveauunterschiede die Schleuse erfunden. Wobei die hiesigen Schleusen allerdings alle so klein ausgefallen sind, daß immer nur zwei unserer Boote gleich- zeitig hinein passen, und außerdem ist na- türlich Selbstbedienung angesagt.
So zum Angewöhnen treiben wir erst ein- mal langsam auf der Hauptspree stromab. Die Natur um uns herum ist schon frühlingshaft grün, die Sonne scheint zwar noch nicht so richtig warm vom durchgehend blauen Himmel, aber sie gibt sich doch redlich Mühe. Genau wie es die Leute, die für das Wetter zuständig sind, vorhergesagt haben, und – ganz wichtig – es soll für die nächsten Tage sogar noch besser werden!
Mit ruhigen Schlägen gleiten wir nun ohne jede Eile durch einen schattigen und völlig naturbelassenen Wald. Am Ufer machen sich leuchtend gelbe Büschel von Sumpfdotterblumen breit, zwischen den vertrockneten alten Halmen des Vor- jahres sprießen bereits die ersten grünen Triebe des neuen Schilfs. Frösche quaken, Spechte hämmern, am blauen Himmel ziehen irgendwelche Raubvögel auf der Suche nach Beute ihre Kreise.
Die nächste Schleuse passieren wir dann dicht am Kahnhafen von Lübbenau und noch zwei Schleusen sowie etwa 12 km weiter haben wir dann auch schon unser erstes Tagesziel. die Jugendherber- ge kurz vor Lübben, erreicht. Zur Freude aller ist das Storchennest auf dem alten Schornstein der Herberge auch wieder belegt. aber Freund Adebar zeigt wenig Interesse an uns. Nur ein kurzer Blick über den Nestrand, dann ist von ihm nichts mehr zu sehen.
Ach, übrigens – das Abendessen in der Herberge war dann doch nicht so rustikal. wie von mir befürchtet. was aber sicher daran liegen kann, daß ich schon länge- re Zeit nicht mehr in einer deutschen Ju- gendherberge zu Abend gegessen habe. Zum wirklich reichhaltigen kalten Buffet gibt es sogar noch eine schmackhafte Suppe. Auf meinen offensichtlich etwas zweifelnden Blick hin hat mich dann so ein kleiner kesser Bengel ermuntert: „Die kannste wirklich essen, die is JUt. Det is schon mein dritter Teller!“ – Na wenn det keene Empfehlung ist!
Hinter den Weiden am Spreeufer steigt langsam die Morgensonne hoch und wir machen uns in der Morgenkühle langsam zur Abfahrt bereit. Das Wasser ist spiegel- glatt, meine beiden Mädels sind bereits im Boot, mein linkes Bein ebenfalls. Das rechte soll natürlich mit gekonnt jugendlichem Schwung folgen, bleibt aber aus mir unerfindlichen Gründen am Ufer hängen und der Abstand zwischen Land und Boot wird erschreckend schnell immer größer und größer. Obwohl ich noch eine zweite trockene Rudergarnitur im Gepäck habe, entscheide ich mich für einen lauten Hilferuf. Die beiden Mädels fallen aus – die sind mit ihren schrillen Schreckensrufen voll ausgelastet. Meine anderen Kameraden diskutieren an Land ausführlich die Vor- und Nachteile verschiedener Streckenführungen und haben verständlicherweise darum überhaupt kein Ohr für meinen Hilferuf. Erst als ich laut und eindringlich verlange, daß ich ihre Hilfe noch heute benötigen würde, springt einer herbei und rettet Mannschaft und Boot vor dem peinlichen Eintauchen ins ins kühle Wasser.
Bis nach Lübben ist es nur eine kurze Strecke. Hier nehmen wir dann nicht den direkten Weg mit nur einer Schleuse durch das Städtchen, sondern leisten uns einen sehr schönen Umweg über den Stadtkanal und die Berste, einem schmalen Nebenflüsschen der Spree. der uns nach kurven- reicher Fahrt sowie zwei kleineren Schleusen unterhalb der Stadt wieder zurück auf die Hauptspree bringt. Gegen Mittag erreichen wir dann die Spreewaldbaude in Petkamsberg zur wohlverdienten Pause.
Kurz danach fahren wir in den Unter- spreewald ein und hier muß man sich nun zwischen zwei Möglichkeiten entscheiden: Hauptspree oder Puhlstrom. Wir bleiben heute mal auf der Hauptspree. die uns mit schöner Strömung und leichtem Schiebe- wind zügig bis zur nächsten Schleuse vor- an bringt. Aber diese Schleuse ist gar keine Schleuse – zumindest im Moment nicht – denn man hat wegen Bauarbeiten am Wehr auf beiden Seiten die Tore geöffnet. so daß das Wasser mit einem mächtige Schwall durch die Kammer schießt. Kein Schleusen, kein Umtragen – wir müssen also leider so etwa 4 km gegen die Strömung bis nach Schlepzig zurück rudern und über die Quaasspree nun doch zum Puhlstrom fahren.
Dieser sehr kurvenreiche Nebenarm der Spree ist eine der schönsten Strecken im Unterspreewald, aber nicht ganz ungefährlich. Der unberührte Urwald ist hier von wilder Schönheit. Hohe Erlen und knorrige Eichen lassen uns immer im Schatten rudern. Der Steuermann hat dabei alle Hän- de voll zu tun, denn das letzte Hochwas- ser hat leider reichlich Schwemmsand in den Biegungen abgelagert und zahlreiche Holzpfähle unter Wasser – Reste ehemaliger Uferbefestigungen – verlangen zusätzliche Aufmerksamkeit. Und die Schleuse am Oberlauf hat auch ihre Tücken, denn sie liegt direkt neben dem stark strömenden Wehr und hat nur Platz für ein Boot. Kurz vor Leibsch vereinigt sich dann der Puhlstrom wieder in die Hauptspree Nach einer weiteren Schleusung erreichen wir jetzt bald den Neuendorfer See, an dessen Ostufer das Dörfchen Alt Schadow liegt. wo uns weiche Betten und ein herrlicher Zander erwarten.
Am nächsten Morgen erwartet uns nicht nur wieder ein herrlicher Sonnenschein, sondern sofort nach dem Start auch eine recht eigenartige, sicher weit über 100 Jahre alte Schleuse. Vollkommen aus rotem Backstein gemauert ist sie eirund und hat keine senkrechten, sondern schräg abfallende Wände. Und damit man bei ablaufenden Wasser mit dem Boot nicht auf diesen schrägen Mauern aufsetzt. hat man drei dicke Pfähle in den Schleusengrund geschlagen und mit einer rostigen Kette verbunden, an der man sich beim Schleusenvorgang festhalten muß. Hoffentlich wird sie nicht so bald durch eine seelenlose Betonschleuse ersetzt.
Jetzt wird die Spree breiter und ruhiger, wird zum Wiesenfluß. Von alten Bäumen gesäumt windet sie sich durch eine sanfthügeliege Uferlandschaft. Verfilzte Alt- und Nebenarme bewässern weite Sumpfwiesen. Kiefernwald zieht sich die fernen Hügel hinauf.
Die Schleuse Kossenblatt ist inzwischen modernisiert worden, d.h. Jahrzehntelang war sie ja gar keine Schleuse, denn die Tore hatte man einfach mit Brettern vernagelt und man mußte hier die Boote auf einen Wagen verladen und über Land ziehen. Aber dieser, obwohl durch Motorkraft angetriebene Wagen, war so unendlich langsam, daß eine einigermaßen gut trainierte Schnecke ihn glatt abhängen konnte.
Jetzt geht es auf dem ruhigen, so gut wie gar nicht befahrenen Flußlauf weiter spreeabwärts, wir passieren eine hölzerne Klappbrücke nach Holländer Art (ob hier jemals so große Schiffe durchkommen, daß man sie hochklappen muß ‘). und biegen dann verbotenerweise in einen Altarm ein, der nach etwa 3 km in den Schwielowsee mündet. Den lassen wir aber gottseidank unbefahren auf steuerbord liegen – gewisse rückwärts gelegene Körperteile machen einigen Ruderern Schwierigkeiten – und wenden unseren Bug auf kürzestem Weg in Richtung Glower See, der, durch breite Schilfgürtel immer mehr eingeengt. so ganz allmählich wieder zur Spree wird, die wir dann in Beeskow am Steg des Rudervereins für heute verlassen. Die Boote werden auf einem Wiesenstück abgelegt. uns selbst machen wir nach einer war men Dusche landfein, dann geht es ab ins Städtchen zu einem hervorragenden Abendessen.
Am Montagmorgen müssen wir recht- zeitig aus den Betten flüchten, denn die vollautomatische Schleuse in Beeskow arbeitet nur im Zwei-Stunden-Rhythmus und schließt erbarmungslos um 9.00 Uhr ihre Tore für die Talfahrt – aber wir sind natürlich pünktlich vor Ort.
Spiegelglatt schlängelt sich die Spree wieder durch breite Schilfgürtel. nur quakende Frösche, springende Fische und singende Vögel. Wiesen, Wald und Sumpf. Radinkendorf und Raßmannsdorf gleiten vorbei, an der Selbstbedienungsschleuse am Wergensee gönnen wir uns dann ein Mittagsschläfchen. Unterhalb der Schleuse sind wir auf der Drahendorfer Spree. die sich hier mit vielen Schleifen und Alt- armen wieder durch eine völlig sich selbst überlassene Landschaft schlängelt und dabei dem Oder-Spree-Kanal manchmal schon gefährlich nahe kommt. Kurz hinter Drahendorf hat sie dann noch eine kleine Gemeinheit für uns auf Lager: ein Wehr ohne Schleuse, dafür aber mit einem sehr schwergängigen, auf unmöglichen Schie- nen laufenden Wagen. Das sollte dann aber auch die letzte Hürde für heute gewesen sein, wenn wir mal – das Tagesziel bereits vor Augen – von dem abschließen- den 4 km langen Umweg zum Kersdorfer See absehen wollen, dessen uns versprochenen üppigen Seerosenfelder sich noch nicht bis zur Wasseroberfläche hoch gewagt haben. Also alles wieder zurück, denn genau gegenüber der Spreemün dung in den Oder-Spree-Kanal liegt ja das „Forsthaus an der Spree“. wo uns nicht nur ein gutes Abendessen sondern auch unsere Betten für heute Nacht erwarten.
Am nächsten Morgen haben wir wie- der einen durchgehend blauen Himmel. spiegelglatt liegt das Wasser vor uns und die Sonne spendet erste warme Strahlen. Die Spree muß ab hier auf einer Länge von etwa 19 km ihr angestammtes Bett dem Oder-Spree-Kanal überlassen, darf sich dafür aber auf diesem Teilstück „Bundeswasserstraße“ nennen. Diesen Titel legt sie aber nach besagten 19 km wieder ab, in dem sie sich vom Kanal abzweigend und an der „Großen Tränke“ über ein Wehr stürzend wieder selbstständig macht. Auch wir haben diese Strecke mit einem Abste- cher auf den Dehmsee, vorbei an Fürs- tenwalde und vielen schönen Altarmen hinter uns gebracht und müssen jetzt unsere Boote auf einen kleinen Schienenwagen verladen und so etwa einen halben Meter tiefer wieder zu Wasser bringen, eine Schleuse gibt es hier nicht.
Ab hier nennt sich der Fluß „Schnelle“ Spree und trägt dieses Attribut – zumindest bei diesem Wasserstand – auch völlig zu Recht. Die Steuerleute müssen höllisch aufpassen, damit wir nicht mit in den Fluß gestürzten Bäumen oder anderem knorrigem, totem Geäst kollidieren. Besonders flache Stellen sind weitflächig mit dem frischen Grün von leider noch nicht blühenden Wasserlilien bedeckt. Rundum eine wilde und üppige Ufervegetation. Das alles kann uns aber natürlich nicht davon abhalten, in der schönen Strömung Päckchen zu bilden und Wein und Leckerbissen zwischen den Booten auszutauschen.
Irgendwann am Nachmittag und irgendwo in der Wildnis, so etwa auf der Höhe des Örtchens Spreeau, geht die heutige Tour dann zu Ende. Die Boote werden einen sandigen Hang hoch geschleppt und auf einer Wiese abgelegt. Mannschaften und Gepäck auf einem Pkw und einem geländegängigen Bully zusammen gepfercht und dann geht es quer durch den Wald nach Spreenhagen zum Gasthaus Paesch, wo sich unsere strapazierten Hinterteile für die morgige letzte Etappe in weichen Betten regenerieren können.
Am nächsten Morgen – dem letzten, den wir auf dieser schönen Fahrt erleben werden – geht es dann per eng gepack- tem Bully wieder zurück ans Spreeufer, rein in die Boote und ab in die Strömung. Noch ist der Morgen still. Rings um uns her nur die Laute der Natur. Einige der vielen Altarme, die vor langer Zeit mal einer Flußbegradigung zum Opfer fielen, sind in den vergangenen Jahren renaturalisiert und wieder zur Hauptspree umfunktioniert worden, was den Lauf des Flusses um Einiges verlängert hat. Die herrliche Ruhe dauert an, bis uns ein langsam immer lauter werdendes Zivilisationsgeräusch daran erinnert, daß es mit Stille der Natur nun bald vorbei sein wird – wir fahren unter einer Autobahnbrücke des Berliner Rings hindurch. Neu Zittau lassen wir auf Backbord liegen und nähern uns dem Dä- meritzsee. Hier liegt das Bootshaus der .Wasserfreunde Erkner“. bei denen wir eine längere Mittagspause einlegen. Die letzten ca. 15 km bringen uns dann durch den idyllischen Gosener Graben, Seddinsee, Langer See und die Dahme zur SG Grünau, wo drei von unseren vier Booten beheimatet sind. Auf solch einer langen Wanderfahrt sammelt sich natürlich viel Sand und Dreck in den Booten, der mit viel Schwamm, Wasser und Lappen raus gespült werden muß. Für diese schließ- lich erfolgreichen Bemühungen – und die schöne Fahrt überhaupt – belohnen wir uns dann abschließend mit einem wirklich vorzüglichen Kohlrouladeneintopf.
Horst Störk
Download hier: Vom Spreewald nach Berlin (2011)