1.Tag, Mo, 11. September (31 km)
Wie üblich: 17 alte Herren wollen mit drei Vierern und den mitgenommenen Kappen ihren jährlichen Spaß haben. Die Kappenordnung trägt einiges zum Gelingen der Fahrt bei, besonders, wenn sich seit Jahrzehnten Mitfahrende selber eine Grube schaufeln. Aber eigentlich geht es ja ums Rudern:
Zwei Neunsitzer dieseln zum Wangnitzsee, unserer Poolposition. Ein Stau auf der Gegenfahrbahn wird an diesem Montagvormittag mit Schadenfreude zur Kenntnis genommen. Betrifft einen ja nicht…Pünktliches Erscheinen am Wangnitzsee, zweites Frühstück mit Kaffee von Karin und los geht‚s um 11.30 Uhr, denn der Schleusenmeister in Strasen ist berüchtigt für das genaueste Einhalten seiner um 13 Uhr beginnenden Mittagspause. Nach zehn Fahrsekunden gerät der Zeitplan ins Wanken, weil ein beschädigter Skull ausgetauscht werden muss (Ersatzskulls in einem Boot in weiser Voraussicht mit an Bord). Dann doch Fahrt über den Wangnitzsee, Kleinen/Großen Priepertsee (ganz schön windig), Ellbogensee zur Schleuse Strasen. Die letzte Schleusung ist unsere! Durch den Kleinen Pälitzsee zur Schleuse Canow. Keine Wartezeit. Wer sagt‚s denn! Wolken und Wind stören kaum. Über den Labussee zur Schleuse Diemitz. Wieder sofort rein. Im Sommer sind bis zu sechs Stunden Wartezeit keine Seltenheit. Am Vilzsee macht bei unserer Pause in der Fleether Mühle der Wirt das beste Geschäft des beginnenden Herbstes. 12 Soljanka wollen erstmal verkauft sein. Der Soljankatester vergibt eine 1-. Letzte Etappe über Mössensee und Zotzensee durch eine lange, für die ermüdeten Ruderer sehr lange Kanalstrecke, aber landschaftlich sehr schön, zum Mirower See. Ankunft 18.10 Uhr, d.h., zehn Minuten nach der von Bernd & Bernd vorherberechneten Ankunftszeit. Saubere Planungsarbeit! Abendessen gibt es um 19.15 Uhr im Hotel. Wenige Kappenordnungsstrafstriche, selbst zum Fehlermachen sind die meisten zu müde. Ab 21 Uhr bröckelt die Altherrenrunde auseinander. Um 22 Uhr gehen die Letzten. Kein Schnaps. Um das mal klarzustellen.
2. Tag, Di, 12. September (32 km)
Nach dem Frühstück wird die der Wettervorhersage geschuldete Umstellung des Tagesplans verkündet: Wegen des für Mittwoch angekündigten Sturmtiefs verzichten wir auf die Rätz-Umfahrt, sondern bewegen uns schon heute in Richtung Müritz, ohne diese bei wieder ordentlichem Wind berudern zu wollen. An der Schleuse Mirow warten wir erstmal 45 Minuten, bis der Herr Schleusenmeister sich zu einer Schleusung herablässt. Deutliche Ansage durch Lautsprecher mit einem Ton der Marke „Will-man-nicht-in-seinem-Zweier-ohne-haben“. Dann langes, entspanntes Rudern im Kanal. Steuermannwechsel mit Umklettern im Sumpfsee. In der Kleinen Müritz biegen wir gleich nach Süden ab und fahren in windgeschützter Lage bei ruhigem Wasser, an anderen Stellen bei Wellengang, in den sog. Müritzarm und weiter in den Müritzsee (nicht zu verwechseln mit „der“ Müritz) bis zu einem schönen Rastplatz kurz vor Buchholz. Nett, dass ein freundlicher Ruderkamerad seinen Keller ausgemistet hat, um uns nun sechs Flaschen lange vergessenen, 18 bis 34 Jahre alten Weiß- und Rotwein zur Verkostung anzubieten. Auch wenn der eine oder andere gutwillige Freund nach einem winzigen Probeschlöckchen sagt „der geht noch“, um den edlen Spender moralisch aufzurichten, wird das einstmals edle Nass stillschweigend mit dem Seewasser vermischt, wo es stark verdünnt nur geringen Schaden anrichtet.
Rückreise nüchtern auf dem gleichen Weg. Da an der Schleuse Mirow 19 Boote auf Schleusung warten, gleiten wir elegant mit halber Kraft unter den ungläubigen Blicken so manchen Freizeitkapitäns bis zur Schurre vor und ziehen die Boote nacheinander an der Schleuse vorbei. Hätten wir am Morgen auch machen können, dann wären die Schuhe aber den ganzen Tag lang vom Schlamm auf dem Schurrenweg eingesaut gewesen.
Abends fahren wir im Autokonvoi in die sicher 850 m entfernte Schlossbrauerei Mirow, in der zwar kein Bier gebraut wird, sich aber ein Restaurant befindet, in dem Steckrübensuppe die Suppe des Tages ist (eine Bestellung). Es gibt glücklicherweise noch andere Gerichte, so dass alle gesättigt den Heimweg antreten können. Vorher haben wir noch das außerordentliche Vergnügen, dem Kellner bei seiner verniedlichenden Sprechweise zuzuhören: Es gibt Süppchen, auch Schnitzelchen, getrunken wird ein Bierchen und der optische Eindruck von über der Stuhllehne hängenden Jacken ist ihm so unerträglich, dass wir die Kleidung auf ein Ständerchen hängen müssen. Abends im Hotelchen gibt es noch zwei Bierchen in kleiner Runde.
3. Tag, Mi, 13. September
Da der Rudertag wegen der Regenschauer in Verbindung mit stürmischem Wind abgesagt ist, müssen wir natürlich früher aufstehen, denn es gibt ein straffes Vergnügungsprogramm. Um 7.15 Uhr sitzen wir beim Frühstück. Die Überraschungsfahrt führt uns in die hübsche mecklenburgische Kleinstadt Lübz und dort in die Brauerei, in der das gleichnamige Bier gebraut wird. Nach dem Ansehen eines kurzen Werbefilms, der Führung durch einige Brauereigebäude und Erklärungen zum Brauvorgang (natürlich naschen einige von der Gerste mit Kappe und müssen Strafe zahlen!) kommen wir in die Dosenabfüllanlage, in der einige Mechaniker versuchen, die stillstehende Anlage wieder in Gang zu bringen. Vorführeffekt! Die Flaschenabfüllanlage funktioniert, auch wenn die tatsächliche Leistung (28.000 Flaschen pro Stunde) von der im Fünfjahrplan angestrebten (34.000 Fl./h) noch weit entfernt ist.
Keine Brauereiführung ohne anschließende Verkostung. Dem Motto „Kein Bier vor Vier“ wird insofern Rechnung getragen, als es ja schon nach 10 Uhr am Vormittag ist, also mehr als sechs Stunden später als ärztlicherseits vorgeschrieben.
Wenn wir schon nicht auf der Müritz rudern können, möchten wir wenigstens nachprüfen warum nicht. Am besten auf einer Dampferfahrt, die wir nach kurzer Kaffeepause in Waren beginnen. Beim Ankämpfen gegen die Wellen denkt man eher an Nordatlantikfischfangschiffe als an Ausflugsdampfer. Die Gischt geht über den Bug, Blumenvasen stürzen um, den Scheibenwischer lässt der Kapitän gleich aus (vielleicht funktioniert er auch nicht). Nach der Wende (über Steuerbord) gemütliches Dampferfahren mit den Wellen mit zeitweiligem genussvollen Sitzen auf dem Sonnendeck.
Auf der Rückreise machen wir noch einen kurzen Abstecher zum Yachthafen Rechlin, bevor wir gegen 17 Uhr im Hotel ankommen. Ab 18.45 Uhr treffen wir uns im Hotel zum Abendessen, wobei die Fahrtenleiter wegen der kreativen Auslegung der Verabredung durch einige Mannschaftsglieder anfangs etwas angefressen sind. Das Buffet, auf das sechs Abweichler zugunsten Kalorienreduktion verzichten, sowie der begleitende Gesang von Anke, die in Lobreden mehrfach als „charmant“ bezeichnet wird, lassen den Ärger vergessen. Das Gesangsprogramm wird an uns Seebären angepasst und als Zugabe müssen wir tatsächlich auf dem Boden sitzend das „Aloahe“ zelebrieren. Eine kleine Gruppe nimmt noch einen Nachttrunk und lässt eine Champions-League-Halbzeit über sich ergehen.
4. Tag, Do., 14. September (26 km)
Der Wind ist zwar noch durchaus spürbar („lebhaft“ aus SW, Stärke 4, Böen 6–7), aber es regnet wenigstens nicht. Im Alter muss man eben die kleinen Dinge des Lebens genießen lernen. Wir fahren vom Mirower See aus nach Norden. Bevor das dritte Boot ruderbereit ist, ist das erste schon einen Kilometer gesegelt! Wir passieren das Granzower Möschen, den Großen Kotzower See und den Leppinsee, bevor wir nach dem Woterfitzsee durch enge Kanäle rudern, die den Steuermännern ihr ganzes Können abverlangen, bzw. ihnen ihre natürlichen Grenzen aufzeigen. Seerosen, Schilf, umgestürzte Bäume und die eine oder andere schmale Öffnung in Eisenzäunen werden aber insgesamt zufriedenstellend, ohne größere Havarie bewältigt. Die fehlende Flagge eines Bootes ist nicht auf die Extrafahrt im Schilfgürtel zurückzuführen, sie wurde einfach morgens vergessen, was aber bis dahin niemandem auffiel. Am Ende der früher einmal wichtigen Verbindung „Bolter Kanal“ machen wir an der Bolter Mühle Rast. Nach kurzem Umtragen wäre man alsbald wirklich auf der Müritz. Rückfahrt auf derselben Strecke, nachdem auch die Wartezeit der zwei Fischbrötchen verzehrenden Kameraden bei den nahen Fischteichen ein Ende hat. Der Wind frischt auf, durch kurzen Schauer gewürzt. Kurz vor 15 Uhr Ankunft am Hotel und Zeit bis zum auswärtigen Abendessen, zu dem wir um 18.15 Uhr starten. Die Fahrt nach Neustrelitz, Stadt der preußischen Königin Luise, lohnt sich schon des zentralen achteckigen Platzes wegen, einem imposanten Ensemble barocker Städteplanung, den wir auf unserem kleinen Rundgang bestaunen.
Wir essen in der „fabrik“, in der früher einmal Ofenkacheln hergestellt wurden. Endlich mal ein großer Tisch, an dem die ganze Truppe im Kreis, bzw. im Viereck sitzen kann. Weitgehend empfehlenswerte Küche, gute Bedienung. Die Rückfahrt auf schmaler Landstraße wird unter strenger Rücksichtnahme auf die einheimische Tierwelt, die beim Überqueren der Straße leider oft unkonzentriert ist, vorbildlich absolviert.
5. Tag, Fr., 15. September (31 km)
Da wir am Sonnabend nicht mehr rudern wollen, müssen die Boote, Wind und Wetter nicht beachtend, heute vom Mirower See zum Wangnitzsee überführt werden. Problem eventuell: Stau vor der Strasener Schleuse. Deshalb machen wir uns früh auf die Reise und können die Diemitzer Schleuse zügig hinter uns lassen. Auf dem Labussee ordentlicher Wellengang, ohne dass die Boote nennenswert Wasser nehmen. Vor der Schleuse Canow warten wir eine Weile und just als wir in die Schleuse einfahren wollen, kommt ein leider vorrangberechtigter Ausflugsdampfer. Um die 45 Minuten Wartezeit zu vermeiden, wollen wir die Schurre nehmen. Das erste Boot verliert bei der Einfahrt in den Schurrenkanal bei „Ruder lang“ kurz die Kontrolle über oben und unten und führt eine etwas verfrühte gründliche Bootswäsche durch, die eigentlich erst am Ziel der Fahrt geplant war.
Keine Vorwürfe, keine Häme (noch nicht), trockene Kleidung wird den durchnässten Pechvögeln gereicht und nach kurzer Verzögerung geht es weiter zum Rastplatz bei Kleinzerlang. Der Kioskbesitzer kommt erst spät um Kaffee zu verkaufen, aber unser Buffettisch ist wie immer reichhaltig gedeckt. Die Schleuse Strasen, die keine Schurre besitzt, wird mit überraschend kurzer Wartezeit ohne Havarie gemeistert. Danach geht‚s mit Schiebewind heimwärts zum Wangnitzsee, wo zwei Boote abgelegt und eines auf dem Hänger zur Rückfahrt nach Berlin verladen wird. Abendessen gibt es im Strandhotel Mirow, diesmal ohne Gesang. Ohne jede ausschweifende Abschiedsfeier verkrümeln sich die meisten früh in die Betten. Früher war mehr los…
6. Tag, Sa., 16. September
Endlich: Allerbestes, windstilles Ruderwetter! Aber ohne uns. Und endlich: Worauf alle fünf lange Tage hingearbeitet haben: Die Kappenordnung wird noch vor dem Frühstück ausgesetzt. Man kann wieder problemlos, ganz wie ein normaler Mensch, Brötchengekrümel mit einem Schluck Kaffee, Tee oder Saft hinunterspülen. Die übergroße Mehrzahl der Menschheit, die noch nie das schöne Joch der Kappenordnung erdulden durfte, weiß gar nicht, wie gut sie es hat! Nach dem Frühstück holen wir den Bootsanhänger am Wangnitzsee ab und treffen auf die Minute pünktlich um 11 Uhr am Arkona-Bootshaus ein. Auch hier hat die Doppelspitze Bernd & Bernd, wie bei der Organisation der gesamten Fahrt, wieder eine perfekte Leistung abgeliefert (weniger würden die in dieser Hinsicht verwöhnten Alten Herren aber auch nicht akzeptieren!). Eine Arbeitsstunde später fahren alle nach Hause, um sich um 14 Uhr – Grund für die frühe Rückreise – nach Friedrichshain, zur Ruder-Bundesliga zu begeben. Na, ja, die Schlagzahl dieser Achter haben wir auf unseren Fahrten knapp verfehlt, dafür macht’s bei uns die Masse: 120 km auf den Gewässern zwischen Wangnitzsee und Müritz werden allen in bester Erinnerung bleiben.
Klaus Becker