Als vor gut 10.000 Jahren die dicken Gletscher der letzten Eiszeit kapitulierten und widerstrebend den Rückzug nach Norden antraten, haben sie ein sanft hügeliges Flachland mit einer Unzahl von kleinen und größeren Seen zurück gelassen. Langsam rückte dann auch eine dem sandigen Boden angepaßte Vegetation mit schönen Mischwäldern nach und schon ließ auch der Mensch nicht lange auf sich warten. Der fand diese sanft hügelige Landschaft dann zwar auch recht schön, aber auf die Dauer eben doch nicht schön genug, denn irgend wann begann er, die vielen Seen und schmalen Flüsse durch Kanäle zu verbinden, neue Seen aufzustauen und den Wasserhaushalt durch Schleusen zu regulieren. Der guten Ordnung halber brauchte dieses Gebiet jetzt natürlich auch noch einen Namen und irgend wie einigte man sich da auf die Bezeichnung „Mecklenburgische Seenplatte“, einem Begriff, bei dessen Nennung heute jedem alten Wanderruderer sofort das Herz höher schlägt.
In einer der schönsten Ecken eben dieser „Mecklenburgischen Seenplatte“ liegt am südlichen Ende des lang gestreckten Mirower Sees das kleine Städtchen Mirow mit Schloßkirche, Schloßinsel und einem gastfreundlichen Ruderverein, bei dem unsere Fahrtenleiterin Gisela zwei Boote für unsere zweitägige Fahrt bestellt hat, die jetzt als C‑Doppelvierer „Preetz“ und „Mirow“ – mit recht schweren Holzskulis bestückt – am Steg vor sich hin dümpeln und auf ihre Mannschaften warten. Der Himmel zeigt sich in einem sehr freundlichen blau, über den nur hin und wieder ein kleines weißes Wölkchen treibt – wir sind also mit dem Wetter zufrieden.
Den Mirower See verlassen wir in Richtung Süden zum Zotzensee, der wiederum an den schlauchartigen Mössensee anschließt. Zu beiden Seiten breitet sich, durchzogen von kleinen und kleinsten Wasseradern, ein grüner Sumpf mit üppigen Farnwäldern. Auf früheren Fahrten konnte man hier große Schwärme von bunten libellen auf Partnersuche beobachten – aber entweder war das alles schon vorbei, oder es war ihnen noch nicht danach.
Wir rudern jedenfalls – entgegen meinem immer wieder bescheiden geäußerten Vorschlag, doch auf dem Vilzsee lieber in Richtung Fleeter Mühle abzubiegen (weil sehr viel schöner!) – weiter zur Schleuse Diemitz, die allerdings von einer Unmenge schleusungswilliger Motorboote und anderen Kleinfahrzeugen belagert wird. Wir zählen allein elf große Motorboote, von denen immer nur drei pro Schleusung abgearbeitet werden können. Ein etwas mathematisch bewandertes Mitglied unserer Mannschaft errechnet eine theoretische Wartezeit von wenigstens 1 1/2 Stunden für unsere beiden Boote, die wir natürlich anderswo weit besser verbringen könnten. Und hier kommt nun wieder – als hätte man es nie anders vorgehabt – mein Vorschlag „Fleeter Mühle“ ins Gespräch. Über den gewundenen, schilfüberwachsenen, sehr romantischen Mühlenkanal nähern wir uns der Umtragestelle, finden den Landungssteg frei und darüber hinaus noch einen freundlichen und kräftigen jungen Mann, der uns beim Umtragen des Gepäcks und der Boote behilflich ist. Wir wünschen ihm und seiner geduldigen Partnerin dankbar eine gute Fahrt und treffen auf der anderen Seite der Umtragestelle dann auf das genaue Gegenteil dieses freundlichen Menschen. Auf unsere freundlich vorgetragene Bitte, mit seinem Paddelboot ein wenig auf die Seite zu rücken, entgegnet er muffig, er wäre hier um Urlaub zu machen und nicht um zu arbeiten. Natürlich, da hätten wir ja auch selbst drauf kommen können.
Der obere Teil des alten Mühlengrabens nimmt uns auf. Durch ein dichtes Blätterdach zaubert die Sonne glitzernde Lichtkringel auf die hier grün erscheinende, ruhige Wasseroberfläche, Schilfrohre biegen sich sachte unter unseren bei nicht einmal Viertelfahrt vorsichtig gehandhabten Skulls.
Wir haben nun den für Motorboote gesperrten Rätzsee erreicht und sind hier einstimmig der Meinung, dass wir uns nach der anstrengenden Umtragearbeit jetzt auch mal eine kleine Pause verdient haben. In unserem Boot kreist darauf hin eine Flasche „Utiel-Requena-Ecologico“ aus den Bergen nördlich von Valencia. Dieser Name ist natürlich nur durch den Zusatz: „Aus biologischer Herstellung“ zu entschuldigen. Das Ganze ist dann ein Wein vom Jahrgang 2011, nennt sich trocken, soll nach reifen Him- und Brombeeren schmecken und kommt trotzdem gut an.
Der stille Rätzsee entlässt uns dann in den Drosedower Bach, der allerdings kaum Ähnlichkeiten mit einem Bach vorweisen kann, sondern eher einem schmalen Flüsschen gleicht, welches auf beiden Seiten von feuchtem Sumpf und tiefem Erlenbruchwald begleitet wird.
Es folgen der Gobenowsee und schließlich auch der Labussee, an dessen linkem Ufer wir eine Gaststätte erkennen, in der wir unser bei diesem warmen Wetter sicher nicht unerhebliches Flüssigkeitsdefizit ausgleichen können.
Nachdem wir unserem ersten Schleusengang durch die Diemitzer Schleuse am Vormittag so geschickt ausgewichen sind, müssen wir jetzt mit unseren Booten aber doch durch eben diese Schleuse, wenn wir zurück nach Mirow wollen. Diesmal allerdings von der anderen Seite – und da ist überraschenderweise überhaupt nichts los. Wir lassen uns also etwa 1 1/2 Meter in die Tiefe sinken und haben damit die Position erreicht, an der wir heute Vormittag schon einmal gelegen haben. Jetzt sind es nur noch lumpige acht Kilometer bis in den Heimathafen, aber diese acht Kilometer entwickeln sich zu einem „Brücken-Martyrium“ für unsere Dagmar. Doch darüber wollte sie wohl selber etwas schreiben.
Beide Boote liegen für die Nacht wieder in den Böcken und nun gilt es, unsere Unterkunft zu finden, was sich als recht einfach herausstellt. Etwas schwieriger wird es dann aber am, bzw. im Haus, denn keiner unserer vielen Schlüssel scheint für die Haustür zuständig zu sein. Hier hilft uns dann ein Mieter des Hauses, den wir durch beharrliches Klopfen ans Fenster bekommen haben. Ins Haus haben wir es nun zwar endlich geschafft, aber wo sind jetzt unsere Apartments? Auch hier sind wir wieder auf die freundliche Hilfe von Mietern angewiesen, bei denen wir ganz plötzlich und unangemeldet mitten im trauten Wohnzimmer erscheinen. Nachdem wir dann aber endlich auch diese Hürde genommen haben und die strapazierten Mitbewohner trotzdem noch immer freundlich zu uns sind, machen wir uns auf den Weg zum „Goldenen Löwen“, den man uns – zu Recht – für ein gutes Abendessen empfohlen hat.
Leider hält das Wetter am nächsten Morgen keinem Vergleich mit dem ebenfalls im „Löwen“ bestellten üppigen und sehr guten Frühstück stand. Der Himmel zeigt sich im Gegensatz zu gestern heute Morgen einheitlich grau und es regnet. Zwar nicht kräftig, dafür aber fein und penetrant ausdauernd. Im Bootshaus – während wir die nächtens in den Booten angesammelten Wassermengen ausschöpfen – macht der Regen dann jedoch eine kurze Pause, aber wohl nur, um uns die Entscheidung „ja oder nein“ zu erleichtern. Wir tendieren alle mehr oder weniger zögernd – und nachdem wir uns überzeugt haben wie der Nachbar stimmt – zu einem verhaltenen „Ja“, hüllen uns in dichte Regenkleidung und begeben uns aufs Wasser, worauf dann auch gleich wieder die nächsten Regentropfen fallen.
Für heute ist Rudern in nördlicher Richtung über die „Alte Fahrt“ geplant. Diese „Alte Fahrt“ ist der frühere Schifffahrtsweg zwischen Mirow und der Müritz, bevor in den 1930er Jahren der Mirower Kanal gebaut wurde. Früher also ein viel befahrener Transportweg, jetzt ein Teil des „Müritz Nationalparks“, ist es heute eine wunderschöne Kette kleiner Seen mit traumhaften weiten Seerosen- und grünen Schilffeldern – wenn die Sonne vom blauen Himmel lacht. Für mich ist dies der schönste Teil der Mirower Seen! Aber leider lacht die Sonne heute nicht, und so müssen wir uns also im langsamen vorbei Gleiten an diesen im feuchten Nieselregen liegenden Naturschönheiten mit der Vorstellung“,wie es wäre wenn‘ begnügen.
Am Ende des Leppinsees passieren wir noch ein kurzes Kanalstück zum Woterfitzsee, machen hier an einer kleinen mit Bäumen bewachsenen Schilfinsel halt und kehren dann um. Hinter einer Biegung des Leppinsees lockt dann die kleine Imbissbude von „Kanu Paul“ zu einer kurzen Rast. Warme Erbsensuppe, heißer Kaffee und kaltes Bier bringen hier etwas Abwechslung in diesen kühlen Regentag. Wir sitzen hier immer mit einem wachsamen Blick auf die Anlegestelle, die wir uns mit einer größeren Gruppe von munteren Kanuten-Neulingen teilen müssen, von denen einige – so jedenfalls die glaubhafte Aussage einer Aufsichtsperson – „völlig hirnfrei“ leben.
Wieder im Bootshaus angekommen werden die Boote natürlich eingehend gesäubert, müssen aber leider noch feucht in der Halle geparkt werden, denn es nieselt natürlich noch immer – womit haben wir uns das nur verdient?
Liebe Gisela, herzlichen Dank für die viele Mühe, die solch eine Wanderfahrt der Fahrtenleitung immer macht. Wir freuen uns auf deine nächste Fahrt, die, so viel ich weiß, bei hoffentlich dann durchgehend schönem Wetter zum Wangnitzsee mit umliegenden Gewässern führen soll.
Horst Störk
Downloadversion hier: Auf den schönen Seen um Mirow 2012