Neben mir erklingt leise und getragen der Song „Ol‘ Man River“ aus dem schönen Musical „Showboat“, das in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts große Triumphe feierte und mich jetzt in die richtige Stimmung für einen Bericht über eine Barkenfahrt auf der Oder bringen soll. Sicher, die Oder kann natürlich in so gut wie allen Belangen nicht an den gewaltigen Mississippi heranreichen. Sie ist weder so lang noch ist sie so breit, sie führt weitaus weniger Wasser – hat aber trotzdem eine sehr schöne Strömung – und kann auch in Sachen Verkehr gottseidank nicht mit dem Ol‘ Man River wetteifern. Doch unsere Oder hat dafür einen wirklich unschätzbaren Vorteil: sie liegt – oder besser fließt – praktisch direkt vor unserer Tür. Und ich brauche eben immer einen gedanklichen Anstoß zum Schreiben.
Und solch ein gedanklicher Anstoß ist nämlich auch Schuld an dieser Barkenfahrt. Da hat nämlich jemand aus unserer monatlichen Achtermannschaft nachgerechnet und dabei festgestellt, dass wir im Sommer 2014 ja unser 10jähriges Jubiläum feiern können und dafür müsse natürlich etwas besonderes her! Und dieser Jemand hat natürlich auch gleich weiter gedacht und bringt seinen Vorschlag zur Abstimmung: „Wir machen eine dreitägige Wanderfahrt mit der lilafarbenen Barke des R.C. Tegelort auf der Oder“ und erntet dafür 100%ige Zustimmung! Toni Kirchner übernimmt wie immer die Organisation und am 29.6. soll es dann los gehen.
An besagtem Tag sind wir dann alle pünktlich beim R.C. Tegelort, machen die Barke transportfähig, füllen sie mit allen möglichen Gaumengenüssen und hängen sie an Siegfrieds Mercedes. Dann geht es über Autobahn und Bundesstraße ab in Richtung Oder zu einem kleinen Örtchen namens Kuhbrücke, das sich nach meiner Meinung allerdings keinesfalls Ort und eigentlich auch kaum Örtchen nennen dürfte, denn es besteht eigentlich nur aus einer Fischerkate mit einigen Pensionsgästen, ein paar rustikalen Bänken und Tischen, einem Räucherofen und herrlichen Fischbrötchen. Aber Kuhbrücke verfügt über eine schöne Einsatzstelle für unsere Barke, die wir hier ziemlich problemlos zu Wasser bringen und bis zum nächsten Morgen fest am Ufer vertäuen können.
Anschließend fahren wir dann weiter über Land nach Hohenwutzen, wo wir im Hotel „Zur Fährbuhne“ für vier Nächte Zimmer gebucht haben.
8 Uhr am nächsten Morgen. Alle sind überpünktlich zum Frühstück erschienen, der Morgenkaffee wird auf die Tasse genau bemessen, aber sonst sind wir einigermaßen zufrieden. Der Himmel zeigt ein fast durchgehend freundliches Grau mit einigen blauen Flecken und lässt auf einen trockenen Tag hoffen – und Ruderer hoffen gerne. Auf zwei Taxen verteilt lassen wir uns nun zurück nach Kuhbrücke zur Barke kutschieren, die trotz aller düsteren Unkereien noch immer wohl vertäut und unbeschädigt im versandeten Nebenarm der Oder auf uns und ihren Einsatz wartet.
Alle acht Ruderer haben ihre Plätze eingerichtet, das große Steuer ist eingesetzt und Steuermann sowie Steuerberater haben ihren verantwortungsvollen Posten auf der Steuerbank eingenommen. Die beiden auf Platz eins und zwei rudernden Mädels müssen zu gegebener Zeit noch nebenberuflich als Küchenpersonal tätig werden. Die Rollen sind also verteilt und es kann los gehen.
Nach nicht einmal 200 Metern verlassen wir den Altarm und rudern nun auf der eigentlichen Oder, die bereits nach knapp 2 km auf steuerbord, also von der polnischen Seite her, die Wasser der Warte aufnimmt. Der Zustrom dieses Wassers verstärkt allerdings nur unerheblich die schöne Strömung der Oder. Und diese Strömung ist uns wirklich sehr hilfreich, denn leider hat sich heute der Wind gegen uns verschworen – er weht uns direkt entgegen. Gegen Mittag kann dann in einer Windpause unser Küchenpersonal zeigen, dass es seit dem letzten Jahr nichts von seinem Können eingebüßt hat.
Diese Windpause stellt sich dann allerdings nur als die Ruhe vor dem Sturm heraus. Der Himmel über uns wird immer dunkler, die kleinen Kreise auf dem Wasser lassen nichts Gutes ahnen. Die Tröpfchen werden größer und größer, fallen immer dichter und schließlich rauscht ein richtiger Regenguss auf uns herab. Und weit und breit ist keine Brücke zusehen, die sind sowieso selten an der Oder. Aber damit noch nicht genug, denn der Wind frischt plötzlich auf, peitscht in kräftigen Böen über das Wasser und setzt den Wellen richtige Schaumkrönchen auf. Unsere Barke kämpft sich tapfer und stöhnend von Welle zu Welle. Doch dann zeigt sich am Horizont wieder ein schmaler blauer Streifen, der schnell breiter und breiter wird. Am Nachmittag gibt es dann noch einen weiteren kleinen Regen, der uns jetzt aber wohl vorbereitet trifft.
Dann kommt endlich die stählerne Konstruktion der Brücke von Hohenwutzen in Sicht. Das gibt uns neue Kraft, denn jetzt haben wir es ja bald geschafft – die längste Strecke mit 45,5 km liegt hinter uns. Praktisch zu Füßen unseres Hotels können wir hier gleich hinter der Brücke die Barke am Ufer fest machen und mit Anker und Leinen sichern.
Am Dienstagmorgen erfreut uns wieder ein strahlend blauer Himmel. Thomas, unser Frühaufsteher, der sich das Wohlergehen der Barke zu seiner Lebensaufgabe gemacht hat, erfreut uns beim Frühstück mit der Nachricht, dass die Barke auch heute wieder unbeschädigt auf ihren Einsatz warte. Aber nicht nur diese Nachricht beschwingt uns, auch der Wind hat es sich nämlich überlegt und bläst heute – so zu sagen als Wiedergutmachung für Gestern – konstant in die richtige Richtung.
Erst einmal feiern wir bei Km 666 zünftig Helgas zweiten Äquatorpreis mit einer sanften „Birne“ und einem dreifachen Hipp Hipp Hurra, erfreuen uns dann einige Km weit über unser heute von Wind und Strömung so herrlich begünstigtes schnelles Vorwärtskommen und beschließen dann irgendwann einstimmig, diese glückliche Konstellation schamlos auszunutzen, in dem wir die Riemenblätter senkrecht stellen und auch andere Utensilien als zusätzliche Segel entfremden. Jemand zitiert genüsslich stöhnend unseren Wolfgang Krause: „Ein herrliches Leben!“ Jetzt, wo wir keine harte Ruderarbeit mehr verrichten müssen, haben wir nun auch etwas mehr Zeit, uns mit der schönen Umgebung zu beschäftigen. Am polnischen Ufer liegen schwarz/weiße Kühe wiederkäuend vor rot/weißen Grenzpfählen. Auf den grasbewachsenen Buhnen, die mal von backbord, mal von steuerbord weit in den Fluss hinaus reichen, sitzen Angler in der warmen Sonne und warten auf das erlösende Zucken ihrer Posen. (Die fischen hier u.a. nach dem Oderwels, einem großen Fisch von gar schrecklichem Aussehen. Das soll sich erst ändern, wenn er dich beim Abendessen vom Teller her – von herrlichen Bratkartoffeln umrahmt – anlächelt. Ich habe ihn zwei mal probiert: sehr gut! Gelächelt hat er allerdings nie.) Zwei kleine polnische Dörfer mit schönen alten Kirchtürmen ziehen vorbei, wir begegnen einem einzigen kleinen Frachtschiff und beobachten einen Adler, der neben unserer Barke hungrig aber ergebnislos ins Wasser greift und dann auch noch von zwei frechen Krähen angegriffen und verjagt wird.
Im Vorschiff der Barke wird inzwischen der Mittagsimbiss vorbereitet und über den Laufsteg zu den Kameraden geschoben, die natürlich alle kräftig zugreifen. Aber bald ist Achtung geboten, denn den Km 697 dürfen wir nicht verpassen, weil wir hier nach backbord in die Schwedter Querfahrt einbiegen müssen, die uns dann durch die Schleuse Schwedt ganze 40 cm abwärts in die Hohensaaten-Friedrichsthaler Wasserstraße entlässt. Seit wir die Oder verlassen haben, müssen wir uns jeden Km leider wieder mit körperlichem Einsatz errudern, denn hier hilft uns keine Strömung und kein günstiger Wind mehr. Nur die Sonne meint es immer noch sehr gut mit uns, weshalb wir dann auch alle froh sind, daß wir bei Km 120 den Seesportclub Schwedt erreichen und dort unsere Barke festmachen können. Hier finden uns dann auch die beiden Taxen und bringen uns sicher zurück nach Hohenwutzen ins Hotel.
Auch am letzten Rudertag lacht uns die Sonne wieder von einem wolkenlosen Himmel. Die Taxen sind pünktlich und bringen uns an den Start. Dieser Taxitransport ist überhaupt eine segensreiche Einrichtung, denn man muß abends die eigenen PKW nicht immer hin und her fahren. Und außerdem verfahren sich Taxifahrer eigentlich nie!!! Auf der HFW (steht für Hohensaaten-Friedrichsthaler Wasserstraße) rudern wir jetzt parallel zur Stromoder praktisch wieder zurück – allerdings die oben erwähnten 40 cm tiefer und auch heute ohne jede Hilfe von Wind und Strömung. Die lachende Sonne macht uns also ganz schön zu schaffen. Die Mittagszeit naht, und während im Bug die Küche entsprechende Vorbereitungen trifft, feiert das restliche Schiff schnell noch den Km 111. Auf der Höhe von Stützkow biegen wir dann in einen schattigen, mit herrlichen Seerosen bedeckten toten Seitenarm ein, machen an einem vom Biber schon arg mitgenommenen Baum fest und genießen, was uns unsere hervorragende Küche zu bieten hat.
An Stolzenhagen vorbei rudernd zeigt uns unser FL dann einen kleinen verträumten Sportboothafen in dem wir später unsere Barke aus dem Wasser nehmen werden. Aber vorher soll es ja noch ein paar Km bis zur Schleuse Hohensaaten weiter gehen. Doch dieses hohe Ziel erreichen wir dann doch nicht mehr, denn wir können den FL fast mühelos überzeugen, bereits nach wenigen Km umzukehren und wieder den kleinen verträumten Sportboothafen anzusteuern, wo wir dann die Barke auf den dort wartenden Hänger verladen und müde aber glücklich zurück zum Hotel fahren.
Der Donnerstag ist ruderfrei und – neben der Rückfahrt nach Berlin – als Kulturtag gedacht. Und hier haben wir erst einmal an einen Besuch im Nationalpark „Unteres Odertal“ gedacht, den wir eigentlich ein Stück weit erwandern wollen. Doch es kommt mal wieder ganz anders. Da ist nämlich plötzlich ein Turm ins Gespräch, den man gerne besteigen möchte. Also eigentlich spricht man ja über zwei Türme, nur meint eben jeder einen anderen. Schlussendlich landen wir dann nach ausgedehnter Irrfahrt – merke: Ruderer wissen auf dem Wasser recht gut Bescheid, aber an Land sind sie verloren – in Stolpe beim „Grützpott“, einem mittelalterlichen Burgturm aus roten Ziegeln. Der ist noch immer etwa 25 m hoch, hat unten 6 m dicke Mauern und, wenn man den bunten Informationstafeln glauben darf, ein doch recht interessantes Innenleben, das wir aber leider nicht erleben können, da das Personal gerade Mittagspause macht. Die ehemalige Burg um den Turm herum ist im Laufe der vielen Jahrhunderte allerdings restlos verschwunden.
Mit Kaffee und Kuchen sowie einigen Kugeln Eis auf einer Stolper Restaurantterrasse nehmen wir dann Abschied von der Oder und es geht zurück nach Berlin.
Dort wird wie im Vorjahr die Barke blitzblank gesäubert und abgestellt, Küchenreste werden vertilgt oder verteilt und noch ein Abschiedsbier getrunken, wobei natürlich nicht vergessen wird, Toni und Doris Kirchner für die schöne Fahrt und tolle Organisation sowie Siegfried Wolf für das Kutschieren des Barkenhängers sehr herzlich zu danken.
Horst Störk