… genauer gesagt: der .Spreewälder Gurken“, denn diesen Vertrauen erweckenden und geschützten Ehrentitel dürfen nämlich nur die Gurken tragen, die auch wirklich im Spreewald aus der Erde kommen. (Was hoffentlich auch jeder der vielen Gurkenbauern in dieser Region beherzigt!)
Aber wo kommt denn die Spree, die dieser Landschaft ihren Namen gegeben hat, nun eigentlich her? Bis 1866 hat sie es nämlich meisterhaft verstanden, einen Schleier des Geheimnisses über ihre genaue Herkunft zu breiten, denn mehrere Gemeinden stritten sich heftig um die .Ouellrechte“. Seitdem kann man aber nach einem Schiedsspruch von überregionalen Fachleuten – fast – sicher davon ausgehen, daß die Spree ihren nunmehr aktenkundigen Ursprung im Rabenbrunnen bei Ebersbach im Lausitzer Bergland hat. Als immer kräftiger werdender Bach durchfließt sie dann das hügelige Bergland Sachsens, ist sogar für kurze 700 m Grenzfluss zu Tschechien, kommt nun in das Lausitzer Tiefland und weiß dann kurz hinter der Stadt Cottbus erst mal nicht mehr wie es jetzt weiter gehen soll, da sie hier kaum noch Gefälle hat. Darum verzweigt sie sich nun in eine breit angelegte Flussinsellandschaft und verzettelt sich hier in zahllose mehr oder weniger breite Verästelungen, Fließe und Kanäle – eben den Spreewald. Erst viele Kilometer weiter – hinter Lübben – vereinigen sich die vielen Verzweigungen dann endlich wieder in einem gemeinsamen Flussbett und die Spree macht sich nun in zwei weit ausholenden Bogen auf den Weg nach Berlin, wo sie dann in Spandau gleich unterhalb der Spandauer Schleuse schließlich ihre Eigenständigkeit verliert und ruhig und bescheiden ohne viel Aufhebens in die Havel mündet.
Aber jetzt zum Rudern im Spreewald! Es ist das ich weiß nicht wievielte Mal, dass wir uns mit fast immer den gleichen begeisterten Spreewaldruderern hier in Lübbenau treffen. Und ebenfalls wie immer benutzen wir natürlich auch diesmal wieder die Jahr für Jahr jeweils im Frühjahr von Friedel Krüger bereitgestellten Doppelzweier. Größere Boote sind in der teilweise herrlichen Enge dieser weit verzweigten Flusslandschaft nämlich völlig unangebracht und würden auch gar nicht in die kleinen Schleusen passen. Die Boote, in denen wir hier rudern, sind natürlich nicht mehr die jüngsten und haben bereits eine ganz erhebliche Reihe von Jahrzehnten auf dem Buckel, sind aber trotzdem weitestgehend intakt. Es sind also keine Boote von der Sorte, die ihren wahren Charakter erst zehn Minuten nach dem Ablegen offen legen, was dann nämlich eine sofortige Umstellung der Mannschaft erforderlich machen würde: einer müsste dann kräftig rudern, der zweite sollte heftig Wasser schöpfen und der dritte in brünstig zum Himmel beten, das man noch rechtzeitig festes Land erreicht. Ein weiterer Vorteil des Frühjahrs: die sonst hier heimischen Milliarden von Mücken sind noch nicht geschlüpft und auch die zu anderen Jahreszeiten manchmal wirklich störend wirkenden .Fleischdarnpfer“ halten sich in vertretbarem Rahmen, da ihre Saison ja noch nicht begonnen hat.
Also schnell drei der kieloben liegenden Doppelzweier gedreht, noch einen Rollsitz mit verbogener Achse ausgetauscht, Gepäck im Boot verstaut und ab geht die Fahrt. Wie die Wetterpropheten vorher gesagt haben, zeigt sich der Himmel leicht bedeckt und die Luft wartet mit recht angenehmen Wärmegraden auf.
Mit ruhigen Schlägen, denn wir haben überhaupt keine Eile, streben wir den breiten Südumfluter hinauf bis zur Schleuse Buschmühle. Der Müller, der hier früher mal das Korn der Umgebung mit Wasserkraft gemahlen hat, hat seinen Arbeitsplatz schon seit langem verlassen, das Dach des Mühlengebäudes ist längst eingestürzt und das alte Mahlwerk samt der früheren Schleusenanlage rostet langsam vor sich hin. Aber es gibt hier einen großen, traumhaft schönen Magnolienbaum zu bestaunen, der sich uns gerade in voller Blüte präsentiert. Eine neue Schleuse lässt uns hier ganze 20 cm an Höhe gewinnen, die wir dann aber nach etwa drei Kilometer durch die Schleuse am Restaurant .DubkowMühle“ gleich wieder abwärts sinken.
Dafür spendieren wir uns jedoch hier, in der herrlichen Sonne im Freien sitzend, ein mehr oder weniger großes .Köniq-Ludwiq-Dunkel“. Jetzt geht es auf der Hauptspree abwärts weiter in Richtung auf das stille Dörfchen Leipe, wo wir früher mal unser Hauptquartier hatten. Außerdem befand sich hier einmal meine Lieblingsschleuse. Eine Schleuse gibt es hier zwar immer noch, aber den roten Backstein und das schöne dunkle Holz meiner alten Schleuse kann man eben nicht durch den grauen, leblosen Beton des neuen Bauwerks ersetzen.
Es ist jetzt kurz nach 16:00 Uhr und da dürfen auch wir als Sportboote durch das kleine Dörfchen Lehde fahren. Bis dahin ist die Durchfahrt nämlich nur den .Fleischdarnpfem“ gestattet, denn den zahlenden Touristen muss ja auch was geboten werden. Dieses Lehde ist einzigartig! Sogar Theodor Fontane, der große Dichter der Mark Brandenburg, ist auf seinen Wanderungen hier vorbei gekommen und hat Lehde mit den wohlwollenden Worten: “ … eine Lagunenstadt im Taschenformat, ein Venedig, wie es vor 1.500 Jahren gewesen sein mag … “ geadelt.
Kurvig und eng zieht sich ein schmaler Wasserlauf durch dieses hübsche Dörfchen, hoffentlich kommt uns hier niemand entgegen. Viele Häuser in diesem fast 700 Jahre alten und heute unter Denkmalsschutz stehenden Dorf, sind vollkommen im Blockhausstil aus Holz gebaut und haben schilfgedeckte Dächer. Herrlich bunt breiten sich um uns die kleinen, liebevoll gepflegten Gärtchen vor den alten Häusern. Frühlingsblumen blühen in allen Farben, kleine Obstbäumchen stehen in voller Blütenpracht, im Astwerk hängen noch immer die farbigen Eier als Erinnerung an das vergangene Osterfest.
Bis zur heimatlichen Wiese ist es jetzt nicht mehr weit. Mal sehen, was uns morgen erwartet.
Der Morgen bringt uns erst einmal ein hervorragendes Frühstück in unserer kleinen Pension, durch das große Fenster lacht eine strahlende Sonne von einem durchgehend blauen Himmel und bereits die Morgentemperaturen lassen uns ahnen, dass es heute sicher recht warm werden wird. Die 500 m Fußweg zu den Booten sind schnell zurück gelegt und wir sind wieder auf dem Wasser. Im heute Morgen strahlenden Sonnenschein erscheint uns das frische Grün des lange erwarteten Frühlings noch viel intensiver und das herrlich leuchtende Gelb der Forsythienbüsche und der üppigen Büschel von Sumpfdotterblumen noch viel kräftiger. Überall hört man das Klopfen der fleißigen Spechte, die ihre Alt- oder Neubauwohnungen bezugsfertig machen. Rundum ist die Natur im Aufbruch. Nur beim Schilf tut sich noch nichts, hier wiegen sich noch immer die alten braunen Stängel des Vorjahres im leichten Wind.
Das alles schützt mein Boot allerdings nicht vor der Tatsache, dass wir plötzlich ganz mutterseelenalleine auf dem Wasser sind. Die anderen beiden Boote sind irgendwo in diesem Labyrinth von schmalen Wasserläufen abgebogen und wir haben es nicht bemerkt, weil unsere Steuerfrau uns etwas Gutes tun wollte und genau in dem Moment schnapsfläschchensuchend in ihrem Bootsbeutel gekramt hat. Schuld daran sind natürlich wieder die anderen – die dann allerdings das Gleiche von uns behaupten, nachdem wir uns nach einiger Zeit ganz zufällig wieder getroffen haben.
Über die Hauptspree und den Leiper Graben sind wir inzwischen an der Polenzschänke vorbei im Hochwald angekommen und gönnen uns hier eine kurze Pause im warmen Sonnenschein bevor wir über das Dietmar Fließ und den Wehrkanal wieder in Richtung Heimat starten. Dieser Wehrkanal hat es in sich, denn er zieht sich so ungefähr gute zwei Kilometer weit schnurgerade und schmal durch die feuchte Landschaft, will und will kein Ende nehmen und ist meist nur im auf die Dauer etwas anstrengenden Spreewaldschlag zu befahren. Und da das alles so herrlich schweißtreibend ist, gönnen wir uns in der alten Waldschenke „Wotschofska“ noch ein kleines Pils. Nach zwei (oder waren es sogar drei?) weiteren Schleusen erreichen wir dann wieder den heimatlichen Anlegeplatz und haben uns mit dieser schönen ausgedehnten Spreewaldtour das gegrillte Steak, das uns unser Wirt für heute Abend versprochen hat, dann auch wirklich verdient.
Der nächste Morgen zeigt sich lange nicht mehr so freundlich wie der Vortag. Das Autothermometer steht auf 16 Grad – allerdings ist das die Innentemperatur. Außen sind es exakt nur 8,5 Grad. Außerdem ist der Himmel vollkommen zugezogen und entlässt einen leichten Sprühregen. Alle sind ruderunlustig – bis auf eine, und das ist natürlich die Fahrtenleitung. Mit der bei ihr üblichen Hartnäckigkeit versteht sie es, auch die restlichen zögernden acht Ruderer zu überzeugen und wieder in die Boote zu bringen, obwohl die kleinen Ringe, die sich mal mehr mal weniger dicht auf dem Wasser zeigen, für den Rest des Vormittags auch Schlimmeres erwarten lassen. Aber es bleibt den ganzen Tag über nur bei der mehr oder weniger feuchten Luft.
Unser Ziel ist wieder die .DubkowMühle“, diesmal aber drinnen im schönen alten Schankraum mit seinen vielen Erinnerungsstücken an „die guten alten Zeiten“. Wir lassen uns Weißkäse mit Leinöl, Grützwurst und andere landestypische Leckereien schmecken und sind nach einer zarten Gesangseinlage unsererseits auch einem leckeren Spreewaldbitter auf Kosten des Hauses nicht grundsätzlich abgeneigt.
Auf dem Heimweg gestatten wir uns bei dieser trüben Wetterlage natürlich keine der sonst üblichen Umwege mehr. Die Boote werden gesäubert und wieder kieloben auf der Wiese abgelegt, dann folgt die große Verabschiedung und es geht per Auto wieder zurück in die heimatlichen Regionen.
Horst Störk